Goethe
Winden hin frohlockte die Gasse; »schnell, schnell den prete, er kriecht zu Kreuz!« – »Du!« hieb ihm der Fleischermeister von der via Convertite den Pantoffel in den Bauch, dumpf klatschte der Ton unterm Leder, »fünfzig und neun Jahre lang in allen Todsünden baden, was? – und dann, auf einmal, padre nostro winseln und . . .«
»Zum Teufel!« Wie eine Riesenfaust aus Zwergenfingern schoß Goethe auf; trieb mit gezielten Püffen das Gesindel auseinander. »Ist denn kein einziger Christ im ganzen Rom?«
Klappernd zurückgeflohen, wie ein Gespenst starrten sie ihn an.
»Wo wohnt der nächste Priester?« griff er wild in den Arm des nächsten Weibes.
Da war er schon! Ein Mönch! Die humpelnde Wohltäterfratze einer Betschwester zerrte ihn herbei.
»Ich bitte«, stieg ihm Goethe kurzwegs in die Kutte, »dieser Mann da . . .«
Aber er konnte nicht ausreden. Von der spanischen Treppe herüber, mitten in seinen Satz herein, sprang die lachkrampfgeschüttelte Stimme des entwischten Mörders und rief, nach Art der Gassenbuben, wenn sie an einem Asylplatz »Polizei und Mörder« spielen: » È chiesa? O non è chiesa? «
» Silenzio! « schrie der Mönch und kniete nieder.
» È chiesa, « frozzelte die Stimme auf der Treppe drüben zum zweitenmal. » O non è chiesa? «
Wie besoffen johlte die Menge. Also Chechino war der Mörder! Ihr geliebter, süßer Liebling! Im Nu Sturzbach von Sympathie zu ihm hinüber. »Wart' nur, Chechino! Wir machen dich schon frei! Sicuro! Wart' nur!«
» Un pò di vino! « schäkerte vergnügt der Mörder.
» Ti porteremo! « jubelte die Gasse.
» E tre pagnocche? «
» Ti porteremo! «
» Un letto, forse? «
Taumel des Entzückens! » E la madonna Linda? «
» Dov' è, « – wie Tauberschmachten kam's zurück – » dov' è la piccinina? «
Die Bäuche hielten sie sich vor Entzücken. »Er beichtet!« donnerte der Mönch im Boden, der feuerrote Arm, vom fallenden Kuttenärmel entblößt, schwang grell die Geißel.
» È chiesa, o non è chiesa? « frozzelte der Mörder meckernd wieder.
»Er hat neun wohlgezählte Morde auf dem Magen!« flüsterte der Sbirrenführer zum Mönch hinab.
»Und beichtet drei!« Drei Finger in der Luft, der Fritterol.
»Er beichtet – vier!« Die alte Vettel.
»Neun ganze, wohlgezählte, sag' ich!«
»Pst! Jetzt sagt er: sechs!«
» Coraggio, Toni! Uno più o meno . . . . . . . . . . .«
» Ah! Figura! Neun!!«
Da sprang der Mönch empor. Den Losspruch auf den Lippen. Und wies zur Erde.
» È morto! « lispelte verfärbt die Menge.
» È chiesa «, frozzelte die Treppe höllisch heiter, » o non è chiesa? «
»Drücken Sie ihm« – die Sbirren schoben ab, die Menge wich zurück, mit heißem Bauch, schweißtriefend wandte sich der Mönch an Goethe – »drücken Sie ihm die Augen zu?«
Mit Schwertblick: »Ja! Ich drücke ihm die Augen zu!«
» È chiesa, « – wie Perlenfall kam's von der Treppe nochmals – » o non è chiesa? «
Goethe hörte es nicht mehr. Mit strenggemessen raschem Schritt, die Stille einer Kirche in der Brust, ging er nach Hause. Angelangt, sogleich, den Hut noch auf dem Kopf, den Mantel um die Schultern, mit keinem vorschnellen Blick das ungeheure Leuchten streifend, das in ihm brannte, setzte er sich an den Tisch. Und schrieb. »Ich bitte dich fußfällig«, schrieb er, ohne nur ein Wort zu überlegen, »flehentlich: verzeihe mir großmütig, was ich gegen dich gefehlt, und richte mich wieder auf! Daß du krank warst durch meine Schuld, mein Scheiden und Schweigen, engt mir das Herz zusammen, daß ich dir's nicht sagen kann. Verzeihe mir! Ich kämpfte selbst mit Tod und Leben, keine Zunge spricht aus, was in mir vorging. Dieser Sturz hat mich zu mir selbst gebracht! Erleichtere mir nun meine Rückkehr zu dir, daß ich nicht in der Welt verbannt bleibe! Nichts in der Welt kann mir ersetzen, was ich an dir verlöre. Schon habe ich viel in meinem Inneren gewonnen, schon viele Ideen, die mich und Andere unglücklich machten, hingegeben und bin um vieles freier. Täglich werfe ich eine neue Schale ab, und hoffe als ein Mensch wiederzukehren. Hilf mir aber nun auch Du und komme mir mit Deiner Liebe entgegen. Ich habe nichts in der Welt zu suchen, als das Gefundene: das ist Alles, warum ich hier mich noch mehr hämmern und bearbeiten lasse!«
Und jetzt – ohne nachzulesen, unterschrieb er, siegelte er – jetzt: reulos vorwärts! Weiter! Ob sie nun antwortet oder nicht, und was, – »ich
Weitere Kostenlose Bücher