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Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Titel: Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Köstering
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Einkaufswagen voll bis über den Rand und wusste
am Ende gar nicht, wie er das alles transportieren sollte. Deswegen kaufte er sich
noch zwei klappbare Plastikkisten, in die er alles verstaute. Draußen vor dem Markt
fand er etwas, das ihn vollends begeisterte: einen Grillstand mit Thüringer Rostbratwurst.
Genauer gesagt: Bratwurst nach Thüringer Art. Die schmeckte zwar nicht so gut wie
in Weimar, aber es war seine erste Freiheitswurst. Sogleich aß er noch eine zweite,
um kurz danach festzustellen, dass ihm von den 100 DM nur noch 54 Pfennig geblieben
waren, und die reichten nicht für den Bus zurück nach Gießen. Er hoffte, der Busfahrer
würde DDR-Mark annehmen, aber da hatte er sich gewaltig getäuscht. Beim Thema Geld
waren die Westler empfindlich. Zum Glück half ihm eine alte Frau, die auch aus Thüringen
stammte, aber noch vor dem Mauerbau ›rübergemacht‹ hatte. Er bedankte sich höflich.
    Als er wieder im Lager angekommen
war, betrachtete er stolz seine Einkäufe. Eine junge Frau, die gerade aus Cottbus
gekommen war und Hunger hatte, setzte sich zu ihm und half, die vier verschiedenen
Sorten Salami zu probieren. Mailänder, Hüttenberger, französische und ungarische
Salami. Als sie fertig waren, meinte sie, die Ungarische sei am besten, das hätte
sie aber vorher schon gewusst, und wozu er eigentlich vier Sorten Salami bräuchte.
Er sah sie verwundert an. Diese Frage war für ihn – rückblickend gesehen – der Auslöser
einer wichtigen Erkenntnis: Es gab auch ein Z uviel an Freiheit.
    Nach dem Essen war ihm schlecht.
›Zu viel Freiheit‹ lag ihm schwer im Magen, schwerer noch als zu viel Salami oder
zu viel Thüringer Rostbratwurst. Später kamen noch 20 Reisebüros, 50 Restaurants,
150 Autohäuser und 300 Krankenkassen dazu.
     
    *
     
    Das nächste Bild, das mein Bewusstsein wieder erfassen konnte, war
weiß. Verschwommen und weiß. Überhaupt alles um mich herum schien weiß zu sein.
Eine Frauenstimme drang aus der Ferne zu mir: »Hendrik, hallo, Hendrik!« Eine Hand
tätschelte vorsichtig meine Wange. »Hallo, Hendrik, wach auf!«
    Ich wollte aber nicht aufwachen.
Konnten mich denn nicht einfach alle in Ruhe lassen? Langsam erkannte ich ein Gesicht.
Es war von dunklen Haaren eingerahmt – das konnte nicht Hanna sein. Enttäuscht legte
ich meinen schweren Kopf wieder aufs Kissen.
    »Hallo, Hendrik, ich bin’s, Sophie!«
    Eigentlich hätte ich mich gefreut,
Sophie zu sehen, aber nicht heute. Denn dies bedeutete: Ich war im Krankenhaus.
Von einer Unfreiheit in die nächste.
    »Da hast du ja einen schönen Sturz
hingelegt in der Gefängnisdusche!«, bemerkte Sophie.
    »Aha, und?«, murmelte ich.
    »Leichte Gehirnerschütterung und
linker Radiuskopf gebrochen.«
    »Linker was?«
    »Der Kopf des Unterarmknochens,
kurz vor dem Ellenbogengelenk.«
    Erst jetzt bemerkte ich, dass mein
linker Arm in Gips lag.
    »Oh, nein!«
    »Halb so schlimm, Hendrik, das heilt
von selbst, glatter Bruch, wir brauchen nicht zu operieren, lediglich drei bis vier
Wochen Gips. Und du musst dich schonen, wegen der Gehirnerschütterung.« Sie klang
sehr geschäftsmäßig. Mir fiel auf, dass ich sie noch nie in ihrer Arbeitsumgebung
kennengelernt hatte, immer nur im privaten Umfeld. Hier war sie nicht mehr die warmherzige,
charmante Sophie, sondern eine professionell auftretende Ärztin, die klare Ansagen
machte. Ich war noch unentschlossen, ob ich dem etwas Positives abgewinnen konnte.
    »Schonen? Bei dem, was gerade mit
mir passiert?«, entgegnete ich mühsam, »irgendjemand da draußen steuert mein Leben,
ich habe die Kontrolle verloren.«
    »Na, nun übertreib mal nicht, du
bist lediglich auf ein paar Gurkenschalen ausgerutscht.«
    »Aha.« Ich versuchte, mich aufzusetzen.
»Du meinst also, Gurkenschalen in einem Duschraum sind normal?«
    »Nein, natürlich nicht, das kann
ein komischer Zufall sein …«
    »Ja, komisch schon, aber kein Zufall,
da bin ich sicher. Zum Abendessen gab es Gurkensalat und kurz danach entsorgt jemand
die Schalen im Duschraum?«
    »Und was war es dann? Ein Mordanschlag?«
    Ich ließ mich wieder ins Kissen
fallen. Mein linker Arm schmerzte.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht kein
Mordanschlag, aber so etwas Ähnliches.«
    Sophie kräuselte die Stirn.
    »Und bevor du fragst«, fuhr ich
fort, »ich weiß, was ich sage, und bin bei vollem Bewusstsein.«
    »Also gut, jedenfalls brauchst du
jetzt strikte Ruhe«, sagte sie, »ich muss auf die anderen Stationen. Die Nachtschwester
schaut nach dir, sie

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