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Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Titel: Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Köstering
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Langsam schlenderte Hanna durch
den Raum, bis sie wie zufällig hinter ihr stand. »Wir sind da«, flüsterte sie.
    »Christianezimmer«, antwortete Sophie,
ohne sich umzudrehen. Hanna gab Cindy ein Zeichen mit dem Kopf in Richtung Brückenzimmer.
Langsam, immer wieder die Bilder und Büsten betrachtend, durchquerten sie den in
Blau gehaltenen Raum. Schiller, Kassandra, Herder, Achill. Im Zentrum des Raums
der nackte Torso eines Knaben, von allen Seiten gut einsehbar, sowohl von vorn,
beim Betreten des Raums, als auch von hinten, beim Verlassen des Brückenzimmers.
Hanna konnte den Erklärungen der Italienerin nicht folgen, bemerkte jedoch, dass
sie recht lange bei dem nackten Knaben verweilte und ihn von allen Seiten ausführlich
schilderte. Ein Italiener mit schicken Lederschuhen und nach hinten gegeltem Haar
stand neben der Rezitierenden und hörte aufmerksam zu. Hannas Blick traf den seinigen.
Sie wandte sich ab und schob Cindy weiter in Richtung Garten. Hanna musste sich
umschauen, denn sie war lange nicht hier gewesen. Der Rundweg führte nach links,
in Christianes Vorzimmer. Hanna erinnerte sich an Hendriks Geschichte zu den beiden
Bildern: Goethe und Christiane, als Ehepaar, einander zugewandt in einer Art von
Zuneigung, die der Betrachter förmlich spürte. Hendrik war vollkommen aufgeregt
gewesen, als er vor ein paar Wochen in einer Fachzeitschrift las, dass das Christiane-Bild
möglicherweise gar nicht Christiane darstellte, sondern eine andere Frau. Es hing
aber immer noch dort an seinem angestammten Platz, bis die Frage von den Experten
endgültig geklärt war.
    In der Großen Stube, auch ›Christianezimmer‹
genannt, luden zwei Vitrinen zum Betrachten der Exponate ein. Hanna versuchte, den
Eindruck zu erwecken, als studiere sie aufmerksam die Goethe’schen Handschriften.
Sophie trat ein. ›Gefunden‹. Eines der schönsten Gedichte von Goethe. Beide Versionen
lagen hier als Handschrift des Meisters in der ersten Vitrine. Während die erste
Version noch mit dem Einspruch des Blümchens: ›Soll ich zum Welken / Gebrochen
sein?‹ endete, ging die zweite Version deutlich weiter: ›Mit allen Wurzeln
/ Hob ich es aus / Und trug’s zum Garten / Am hübschen Haus / Ich pflanzt es wieder
/ Am kühlen Ort / Nun zweigt und blüht es / Mir immer fort .‹ Mit dem Blümchen
war Christiane gemeint. Hanna wunderte sich, wie gut Goethes Worte auf alltägliche
Situationen passten, auch heute noch, nach 200 Jahren. Und es waren schöne Worte.
Worte, die einem ans Herz gingen. Einen kurzen Moment dachte Hanna an Hendrik. Eigentlich
hatte sie angenommen, dass auch ihre Liebe ›immer fortblühen würde‹. Sie seufzte
leise.
    »Wie heißt das Medikament?«, flüsterte
Sophie.
    »Revato«, antwortete Hanna.
    »Aha. Ein Präparat, das bei pulmonaler
Hypertonie gegeben wird, spezielle Therapie, sehr teuer, wird nur nach exakter,
aufwendiger Diagnose verschrieben …«
    »Lungenhochdruck?«
    »Genau.«
    »Ja, davon hat Karola erzählt. Ich
kenne das Krankheitsbild kaum, wir führen solche Präparate bei Maropharm nicht,
was bedeutet das genau?«
    »Moment …« Sophie drehte eine Runde
durch den Raum, so als sei sie eine überaus interessierte Besucherin. Sie trafen
sich an der anderen Vitrine wieder. Brieföffner, Besteck, ein Stilett.
    »Schwere Lungenkrankheit mit Einengung
der Lungengefäße, führt unbehandelt nach ein bis zwei Jahren zum Tod.«
    »Mutter hat Lungenkrebs im Endstadium.«
    Sophie schluckte. Es fiel ihr offensichtlich
schwer, Hanna nicht zu umarmen.
    »Was meinst du?«, fragte Hanna.
    Sophie hob unschlüssig die Hände.
»Ich habe noch nie gehört, dass Revato bei dieser Diagnose eingesetzt wird, ist
aber eventuell keine schlechte Idee, weil es die Lungengefäße dilatiert und die
Luftnot lindert. Ich überprüfe das mal.«
    »Danke, wann treffen wir uns wieder?
Telefonieren ist zu riskant.«
    Sophie nickte kurz. »Ich habe diese
Woche Spätdienst, morgen im Schillerhaus, gleiche Zeit.«
    »Geht klar.« Hanna drehte sich um
und folgte dem Rundweg in Christianes Wohnzimmer. Cindy Valentine wartete dort auf
sie. Sie strebten dem Ausgang entgegen, ohne Goethes Schätzen auch nur einen zusätzlichen
Blick zu gönnen. Sicherheitshalber wollten sie sich direkt vor dem Goethehaus trennen,
um sich später in Valentines Wohnung wieder zu treffen. Cindy bog nach rechts in
die Seifengasse ab. Hanna wollte im Schutz der Touristen den Frauenplan überqueren
und geradeaus in Richtung Marktplatz gehen. Im

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