Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
gegangen, hat sich immer nur um Vater gekümmert, jetzt ist es zu spät.«
»Mein Gott, das …« Ich hätte sie
am liebsten umarmt, doch mein Bauchgefühl verriet mir, besser zu warten. »… das
tut mir sehr leid!«
»Karola ist bei ihr, ich musste
mich verstecken, war zwei Tage bei Cindy, nach dem Essen muss ich gleich zu ihr.«
»Klar …«, ich zögerte, »ich kann
gerne mitkommen.«
Sie blieb stehen und sah mich an.
»Das ist vielleicht … noch ein wenig zu früh.«
Ich verstand. Langsam gingen wir
weiter.
»Woher wusstest du eigentlich, dass
die Polizei dich sucht?«, fragte ich.
»Siggi, er hat mich gewarnt.«
Offensichtlich hatte ich meine Freunde
unterschätzt.
»Und was ist das für ein Medikament,
wird es deiner Mutter helfen?«
»Etwas ganz Spezielles, was sonst
nur bei Lungenhochdruck gegeben wird, deswegen brauche ich die Informationen von
Sophie, ja … vielleicht hilft es ihr.«
Ich fragte nicht, was Lungenhochdruck
sei, das war im Moment nicht wichtig für uns beide. Etwas anderes war wichtig. Und
das musste jetzt gesagt werden – manchmal braucht man Mut zum Glück.
»Wolltest du deswegen deine Heiratszusage
verschieben?« Diesen Satz hatte ich mir zuvor genau überlegt, hundert Mal aufgesagt,
vor dem Spiegel geübt.
Sie blieb erneut stehen, direkt
neben dem Brunnen an der Rittergasse, und sah mir in die Augen. »Ja, Hendrik, das
war der Grund. Ich habe wohl erwartet, dass du mich nach einer Begründung fragst.
Stattdessen hätte ich es dir besser … einfach gesagt.«
Ich machte eine Kopfbewegung, die
wohl irgendwo zwischen Zustimmung und Zweifel liegen musste. »Jedenfalls kamen dann
noch der eingelaufene Bademantel und die gelbe Rose dazu, stimmt’s?«
Sie lachte und weinte gleichzeitig.
»Ja, genau, so war’s!«
Ich wischte ihr die verschmierte
Wimperntusche mit dem Taschentuch ab. Es gelang nicht ganz. Trotzdem sah sie umwerfend
gut aus. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr wenden und sie wich meinem nicht
aus. Dann küsste ich sie.
Die anderen saßen wahrscheinlich
schon in der Pizzeria und warteten auf uns. Doch das störte uns nicht in unserer
kleinen, warmen Hanna-Hendrik-Welt. Endlich betraten wir Hand in Hand die Pizzeria.
Vorn an der Theke begrüßte uns Pepe. Sein italienisch gefärbter Thüringen-Singsang
war einmalig in Weimar. Er gab Hanna drei Wangenküsse, links, rechts, links, das
Gleiche bei mir, verbunden mit einigen Schwierigkeiten, denn er war zwei Köpfe kleiner
als ich, aber das störte ihn überhaupt nicht.
Dann kam Sophie auf uns zu. Sie
umarmte mich zur Begrüßung, damit waren die Differenzen zwischen uns beigelegt.
Es musste nichts mehr gesagt werden.
Sie wandte sich Hanna zu: »Ich habe
einige Experten befragt, einen Internisten aus Erfurt und einen Pneumologen aus
Berlin. Beide sagen, dass man das Medikament geben kann, um die Lungengefäße zu
erweitern, damit entspannt sich die Atmung und der gesamte Körper. Hier ist eine
Liste von Untersuchungen, die vorab durchgeführt werden müssen, bevor Revato verschrieben
werden darf. Ich kann nicht einfach zu Dr. Gründlich gehen und ihn ausfragen, du
als Tochter der Patientin kannst das tun.«
Hanna wirkte erleichtert. »Danke,
Sophie!«
Die anderen saßen bereits bei Pizza
und Pasta. Hanna bestellte eine Calzone, ich entschied mich für Spaghetti Putanesca.
Wir blieben ziemlich lange dort sitzen, bei Pepe, und irgendwie hatte ich den Eindruck,
dass die anderen Hanna und mich heimlich beobachteten und an unserer wiedergewonnenen
Zweisamkeit teilhaben wollten, ohne dass irgendeine Bemerkung dazu fiel.
Als die meisten anderen Mittagsgäste
das Lokal bereits verlassen hatten, stand plötzlich Benno in der Tür. Nur auf einen
Espresso, mehr Zeit habe er nicht. Er gab Sophie einen Kuss und setzte sich zu uns.
»Averna, Grappa, Espresso? Ische
gebe ein aus«, rief Pepe.
Hannas Hand ruhte in meiner. Welch
ein Tag! Fühlte sich fast an wie der 9. November.
Dr. Franke hatte uns inzwischen
auch seine Verhaltensempfehlungen weitergegeben. Ich durfte wieder mit und über
Siggi reden, durfte mich wieder mit ihm treffen, sollte aber alle Gespräche, die
ich mit ihm über den Fall führte, dokumentieren, quasi wie ein Tagebuch – sicherheitshalber.
Hanna und ich sollten keinerlei Pressefragen beantworten oder Interviews geben.
Wenn eine Anfrage käme, sollten wir diese an ihn weitergeben. Es war ein beruhigendes
Gefühl, einen kompetenten Anwalt an der Seite zu haben.
Richard Volk sprach mich an:
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