Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
war ein pensionierter Lehrer.
Wohnhaft …«
Er blickte in die Runde.
»Hauptstraße in Tiefurt?«, fragte
ich.
»Genau so ist es!«
Alle blickten ihn erstaunt an.
»Die drei Opfer wohnten nur wenige
Häuser voneinander entfernt. Insofern ist für mich klar, dass hier ein Zusammenhang
bestehen muss . Ab sofort wird eine Sonderkommission mit dem Namen ›Tiefurt‹
eingerichtet, deren Leitung Kriminalhauptkommissar Dorst übernimmt.«
Er nickte Siggi kurz zu. »Herr Dorst
und sein Team werden sich Gedanken machen über mögliche Zusammenhänge. Kriminaltechnisch
ist nicht mehr herauszubekommen, wir müssen uns also auf die beteiligten Personen
konzentrieren, Gemeinsamkeiten, mögliche Motive. Falls jemand von Ihnen etwas erfährt
oder eine Idee hat, dann darf ich Sie bitten, dies umgehend Herrn Dorst mitzuteilen.
Ich wiederhole: Alles, was Sie zu diesem Fall gehört haben, ist streng vertraulich!«
Er legte eine kurze Pause ein, um den Appell wirken zu lassen, dann fuhr er fort:
»Herr Wilmut, ich habe mit dem Richter gesprochen, Ihr Haftbefehl wurde aufgehoben.
Somit besteht keine Meldeauflage mehr. Frau Büchler, Sie sind ebenfalls entlastet.
Ich möchte Sie beide jedoch höflichst bitten, sich zu unserer Verfügung zu halten.«
»Was bedeutet das genau?«, fragte
Dr. Franke.
Lehnert zögerte und strich mit der
flachen Hand über seine Krawatte. »Ich … äh, möchte Sie bitten, uns bei der Aufklärung
des Falls zu helfen.«
Hanna und ich sahen uns erstaunt
an. Welche Wende! Innerhalb weniger Stunden waren wir von potenziellen Mördern zu
potenziellen Ermittlern geworden. Was für eine rasante Karriere!
»Und entschuldigen Sie bitte die
bisherigen Unannehmlichkeiten, das ließ sich leider nicht vermeiden«, ergänzte der
Kriminalrat.
Ich nickte.
»Haben Sie noch Fragen? Nein? Dann
danke ich Ihnen.«
Siggi und Meininger machten sich umgehend auf den Weg nach Tiefurt,
Lehnert und Göschke gingen zurück an ihre Schreibtische. Ich rief kurz bei Tante
Gesa an, um sie darauf vorzubereiten, dass Siggi sie heute noch befragen würde.
Ein paar Minuten später standen Hanna, Dr. Franke, Richard Volk und ich draußen
vor dem Polizeipräsidium.
Nachdem wir etwas Luft geholt hatten,
meinte Dr. Franke: »Frau Büchler, Herr Wilmut, ich würde Ihnen gerne einige Verhaltenshinweise
für die nächsten Tage geben, das wäre wichtig. Denn so ganz sind Sie möglicherweise
noch nicht aus dem Schneider.«
Ich mag es sehr, wenn Leute ihren
Beruf ernst nehmen. »Von mir aus gerne …«
Hanna sah auf die Uhr. »Oh, schon
12.15 Uhr, ich muss dringend telefonieren!« Sie entfernte sich einige Meter von
uns, um in Ruhe sprechen zu können. Als sie nach ein paar Minuten zurückkam, sagte
sie: »Ich war um 12 Uhr mit Sophie verabredet, hatte ich ganz vergessen …«
»Verabredungen zu vergessen, ist
ja eigentlich meine Spezialität«, warf ich ein.
»Stimmt, hat schon auf mich abgefärbt.«
Sie lächelte. »Ich treffe mich mit ihr in Pepes Pizzeria in der Windischenstraße,
wir könnten dort alle etwas essen, Dr. Franke kann uns seine Tipps geben und Sophie
…«
Ich sah sie fragend an.
»Na ja, ich brauche Informationen
zu einem speziellen Medikament.«
Ich zuckte zusammen, blieb aber
zunächst ruhig. Das war zu persönlich, um es in Anwesenheit der anderen zu besprechen.
»Richard, kommst du mit?«, fragte
ich.
»Ja, gern, mein Zug nach Frankfurt
geht erst um halb vier. Ich hoffe, dass ich mit der dicken Lippe etwas essen kann.«
Wir beschlossen, zu Fuß zu gehen,
passierten die Weimarhalle, den Goetheplatz und bogen in die Geleitstraße ein. Als
wir an Cindys Haus vorbeikamen, meinte Hanna, wir sollten schon mal vorgehen, sie
wolle eben Cindy Bescheid sagen, was passiert sei und dass es ihr gut gehe. Schließlich
wusste sie von der Wende des Falls nichts. Die anderen gingen weiter. Ohne etwas
zu sagen, blieb ich stehen und wartete vor Cindys Haus.
Nach fünf Minuten kam Hanna wieder
herunter. Sie sah mich überrascht an.
»Hanna, ich … wir sollten mal …
reden!«
Sie nickte. Ohne zu lächeln. »Vor
oder nach der Pizza?«
»Auf dem Weg dahin.«
»Gut.«
Wir gingen langsam los. In meinem
Magen drehte sich eine Mühle, die Nervosität und leichte Übelkeit hervorrief.
»Bitte, Hanna, was ist mit dem Medikament,
ich meine … bist du krank?«
Ich glaube, sie merkte, dass ich
es ernst meinte.
»Nein, ich nicht, aber meine Mutter.«
»Was ist mit ihr?«
»Lungenkrebs, Endstadium, sie ist
nie zum Arzt
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