Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
Weimar
sind, komme ich mit.«
Er grinste. »Geht klar. 8.30 Uhr
am Rollplatz?«
»Okay!«
Kurz vor Mitternacht fiel die Tür
hinter Siggi ins Schloss. Der Mond schien vom Rollplatz her in mein Zimmer. Ich
sank in meinen großen Sessel und überließ mich der Stimmung der Nacht. Ruhe finden
– ja, danach sehnte ich mich sehr. Doch meine Gedanken rankten sich rastlos um das,
was gewesen, und das, was kommen würde.
Von allen Werken Goethes, mit denen
ich mich jahrelang befasst hatte, lagen mir seine Gedichte immer noch besonders
am Herzen.
Bis dann zuletzt des vollen
Mondes Helle
So klar und deutlich mir ins
Finstere drang,
Auch der Gedanke willig, sinnig,
schnelle
Sich ums Vergangne wie ums
Künftige schlang;
Um Mitternacht.
Plötzlich fiel mir ein, dass ich den Nachnamen von Karola gar nicht
kannte, und den brauchte Siggis Kollege schließlich, um sie suchen zu lassen. Ich
wählte Siggis Nummer.
»Kein Problem«, meinte er, »ich
habe Hanna bereits angerufen. Falls Karola sich bis morgen früh nicht gemeldet hat,
lassen wir sie suchen. Ihr Nachname ist übrigens Bergengruen.«
11. Kapitel
Donnerstag, 2. September 2004. Der Tag, der sich in unser Gedächtnis
einbrannte.
An diesem denkwürdigen Donnerstag stand ich früh auf, weil ich vor
unserem Trip nach Jena noch nach Hanna und ihrer Mutter sehen wollte. Ich war sehr
froh, dass ich Büchlers Haus einfach wieder so betreten konnte, so wie früher in
den Sommerferien. Nur dass Hannas Mutter nicht mehr an der Tür stand. ›Der Hendrik
von nebenan‹, so hatte sie mich immer begrüßt. Schöne Erinnerungen.
Ihr Zustand war schlecht. Der Atem
ging rasselnd, teilweise spuckte sie blutigen Schleim. Ich war geschockt. Zunächst
erkannte sie mich gar nicht.
»Mutter, Hendrik ist gekommen!«,
sagte Hanna.
Keine Reaktion.
»Ich bin’s, der Hendrik von nebenan!«,
sagte ich.
Sie tastete nach meiner Hand. »Hendrik,
du bist ein guter Junge, bitte kümmere dich um Hanna.«
Ich konnte die Tränen kaum unterdrücken.
»Ja, Frau Büchler, ich werde mich um Hanna kümmern.«
Ein leichtes Lächeln lag auf ihren
Lippen. »Du wirst sie heiraten, ja?«
Ich wagte nicht, Hanna anzusehen.
»Hendrik, wirst du sie heiraten?«,
wiederholte ihre Mutter mit schwacher Stimme. Hanna verließ den Raum.
»Ja, Frau Büchler, ich werde sie
heiraten, ich verspreche es.« Meine Güte, wie konnte ich so etwas einfach sagen,
am Totenbett einer Mutter!
Zufrieden lehnte sie sich zurück.
Ihre Gesichtszüge waren entspannt.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte
ich.
Sie nickte kurz. Ich gab ihr einen
Schluck Tee, dann verabschiedete ich mich.
Hanna saß in der Küche und weinte.
Ich setzte mich zu ihr. »Es wird schwer ohne sie, aber du wirst es schaffen«, sagte
ich, »ich werde dir helfen.«
Sie nickte.
»Tut mir leid, ich muss los, bin
um halb neun mit Siggi verabredet.« Ich küsste sie. »Es wird Zeit, heute muss ich
pünktlich sein.«
»Ausnahmsweise?«
»Ja, ausnahmsweise!«
Der Verkehr in Weimar schien heute wesentlich dichter zu sein als sonst.
Meine linke Hand war inzwischen einigermaßen zum Lenken zu gebrauchen. Es wäre allerdings
wesentlich bequemer gewesen, wenn ich ein Automatik-Getriebe gehabt hätte. Doch
so etwas hatte mein 20 Jahre alter Volvo nicht zu bieten. Im Vorüberfahren sah ich
ein Plakat, das für morgen den Bundesparteitag der CDU ankündigte. Deswegen die
Betriebsamkeit in der Stadt. Dass ich das nicht mitbekommen hatte – innerlich schüttelte
ich den Kopf über mich selbst. Normalerweise höre ich mehrmals täglich die Nachrichten.
Zurzeit interessierte mich das aktuelle Geschehen jedoch überhaupt nicht. Ich beschloss,
mir eine Nachrichtenpause zu gönnen, so lange, bis der Mörder gefasst war. Auf diese
Weise brauchte ich mir wenigstens selbst kein schlechtes Gewissen zu machen.
Siggi wartete bereits auf dem Rollplatz.
Etwa eine halbe Stunde später standen wir vor dem Institut für Rechtsmedizin der
Uni Jena. Professor Schymski erwartete uns. Er war der Nachfolger von Professor
Kübler, der uns damals zum Goetheruh-Fall einen interessanten Vortrag zur DNA-Analyse
gehalten hatte. Doch heute ging es um Todesursachen und Mordwerkzeuge. Die Bilder
in Küblers Büro hatte Professor Schymski übernommen. Alle von Schmidt-Rottluff,
düstere Eindrücke mit roten Flächen der Hoffnung.
»Sie haben mir da zwei Klienten
gebracht«, begann der Professor. Er hatte dünne, graue Haare und trug einen Seemannspullover.
Mir war
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