Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
nicht ausführlich befragen, ihr geht es verständlicherweise nicht gut. Sie
hat von Anfang an behauptet, ihr Mann habe keinen Selbstmord begangen, womit sie
ja recht hatte. Ihr Mann scheint ziemlich beliebt gewesen zu sein, sie wusste auch
nichts von einem Schüler, der einen schwerwiegenden Konflikt mit ihm gehabt haben
könnte. Das wird natürlich noch geprüft, Meininger ermittelt morgen in der ›Schule
am Waldschlösschen‹.«
»Mit solchen Konflikten muss man
in der heutigen Zeit ja leider rechnen.«
»Ja, leider«, antwortete Siggi,
»Frau Baumert, die Mutter von Daniel, liegt im Krankenhaus, sie steht unter Schock.
Fedor Balow hatte keine Angehörigen.«
»Überhaupt keine Angehörigen?«
»Jedenfalls konnten wir keine ermitteln.
Seine Eltern sind inzwischen beide verstorben. Geschwister gibt es nicht, Onkel,
Tante oder Ähnliches sind nicht bekannt, eine Spur nach Russland hat auch nichts
gebracht. Bei allen drei Fällen gibt es zwei gemeinsame Ansatzpunkte für persönliche
Kontakte und Konflikte: die Nachbarschaft und die Kirchengemeinde. Da werden wir
weitermachen. Eventuell die Schule, aber das passt nicht mit Fedor Balow zusammen.
Er hat seine Schulzeit hauptsächlich in Berlin verbracht, zwei Jahre in St. Petersburg.
Hat eine einjährige Ausbildung zum Altenpflegehelfer in Erfurt gemacht und dann
in Weimar gearbeitet.«
»Wo hat er denn gearbeitet?«
Siggi blätterte in seinem schwarzen
Notizbuch. »Bei einer Firma ›Hand in Hand‹, ambulante Pflege.«
Wir grübelten eine Weile, diskutierten
alles noch mal vor und zurück, kamen allerdings nicht wirklich weiter. Ich bereitete
zwei weitere Tassen Espresso zu, obwohl es mittlerweile schon spät war. Doch im
Laufe unserer Freundschaft hatte sich Siggi meinen Espresso-Gewohnheiten angepasst.
Er zog das Spanngummi wieder um
sein Notizbuch. »Zu jedem Mordfall gehört eine Leiche, eine Tötungsmethode, eine
Mordwaffe, ein Motiv und natürlich …?«
Er sah mich fragend an.
»Ein Mörder?«
»Genau. Alle drei Leichen wurden
gefunden. Die Tötungsmethode ist ebenfalls in allen Fällen klar: Balow vergiftet,
Baumert erschlagen, Gegenroth erwürgt. Bei Balow haben wir die Spritze, aber die
wichtige Frage bleibt: Wo kam das Insulin her? Hat man ja nicht gerade so in der
Hausapotheke. Und: Wo wurde Balows Leiche in die Ilm geworfen? Die Mordwaffe im
Fall Baumert fehlt, Gegenroth wurde möglicherweise mit bloßen Händen erwürgt, da
warten wir noch auf den Bericht der Rechtsmedizin. Im Fall Hans Gegenroth gibt es
übrigens die meisten Widersprüche und Ungereimtheiten.«
»Wieso?«
»Es ist völlig unklar, warum der
Mörder ihn nach der Tötung in der Bahnunterführung aufgehängt hat. Eine symbolische
Handlung vielleicht … Und wie konnte das Opfer auf der Couch im Wohnzimmer erdrosselt
werden, ohne dass seine Frau, die im Zimmer nebenan schlief, etwas gehört hat? Außerdem
hat Meininger etwas sehr Seltsames herausbekommen.«
» Der hat was rausbekommen?«
»Na ja, so schlecht ist er
nicht. Jedenfalls brannte es vor etwa einem Jahr in der Denstedter Mühle, das weißt
du ja …«
»Allerdings, meine Verwandten sind
mit einem blauen Auge davongekommen, weil sie überall Rauchmelder installiert hatten.«
»Richtig, und als Brandursache wurde
eindeutig ein defektes Elektrokabel identifiziert, ein Marder hatte es angebissen.
Ein paar Tage später meldete sich Hans Gegenroth und behauptete, er hätte den Brand
gelegt.«
»Was?«
»Ja, tatsächlich. Das kam nie an
die Öffentlichkeit, die Kollegen haben damals vermutet, Gegenroth sei ein wenig
dement und habe sich das bloß ausgedacht. Die einhellige Meinung der Nachbarn ist
aber, dass er völlig klar im Kopf war, hat damals ja noch Privatunterricht gegeben.«
»Sehr seltsam, er beschuldigt sich
also selbst und keiner glaubt ihm?«
»So ist es. Das verkohlte Skelett
des Marders wurde sogar gefunden, also klare Sachlage. Und bei allen drei Fällen
fehlt uns etwas sehr Wichtiges …, das Motiv!«
Ich nickte zustimmend. »Weißt du
noch, damals beim Fall Goetheruh, da haben wir mit eurem Polizeipsychologen über
Serientäter diskutiert. Meinst du, hier haben wir es ebenfalls mit einem Serienmörder
zu tun?«
»Es liegt zwar nahe, aber wir müssen
aufpassen, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Zunächst liegen alle drei Morde
in räumlicher Nähe zueinander und die Opfer wohnen alle in derselben Straße, mehr
nicht. Ich wäre froh, wenn wir unseren Psychologen von damals noch hätten.
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