Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
Eisenstange gehandelt haben. Das war’s, meine Herren, ich
muss jetzt zu meiner Vorlesung.«
Damit erhob er sich, rauschte in
Richtung Tür, drückte Siggi im Vorbeiflug zwei Akten in die Hand und murmelte drei
bis fünf Mal: »Auf Wiedersehen.«
Während der Rückfahrt sprach Siggi
kein Wort. Erst als er mich am Beethovenplatz absetzte, fragte er, ob ich Professor
Schymski glaubte, was Hans Gegenroth betraf. Ich sah keine andere Möglichkeit, als
ihm zu glauben. Im Grunde fand ich es auch egal, ob der Mörder Eisenfinger besaß
oder nicht: In jedem Fall hatte er Hans Gegenroth grausam umgebracht.
Ich verabschiedete mich und ging zu Fuß in Richtung Residenzschloss.
Es war ein schöner, klarer Septembermorgen. Der Ilmpark lag in einem leichten Dunst,
einige Sonnenstrahlen kämpften sich mühsam hindurch. Dank des abrupten Gesprächsendes
in Jena hatte ich noch eine viertel Stunde Zeit. Ein bekannter Journalist hatte
einmal in der ›Zeit‹ geschrieben: ›Zeit zu haben ist der Luxus unserer Zeit.‹ Ich
ging langsam am Haus der Frau von Stein entlang, ließ das Grüne Schloss, in dem
sich der Rokokosaal befindet, rechts liegen und überquerte den Platz der Demokratie.
Das Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek liegt gegenüber im Roten
Schloss, wo ein moderner Kubus hinter alten Mauern aus dem Boden zu wachsen scheint
– immer wieder ein beeindruckendes Bild. Praktischerweise sind die beiden oberirdischen
Teile der Bibliothek unterirdisch miteinander verbunden. Unter dem Platz der Demokratie
war in den vergangenen Jahren ein Archiv für etwa eine Million Bücher errichtet
worden. Nach Jahren der Bauaktivität war der Platz erst seit Kurzem wieder befahrbar.
Fünf Minuten vor 11 Uhr betrat ich
den großen Konferenzraum des Studienzentrums. Fast alle Kollegen waren anwesend.
Ich begrüßte die meisten kurz, auch die stellvertretende Direktorin Frau Knüpfer
und meinen lieben, ach so einfältigen Kollegen Dr. Albert Busche. Seine Gesichtszüge
waren wie immer eingefroren. Einige fragten mich nach dem Gipsarm, es blieb nicht
viel Zeit für private Gespräche.
Dr. Knoche begann pünktlich. Es
ging um zwei wichtige Punkte: das Jugendbildungsprojekt ›Cicerone‹ und die anstehende
Renovierung des Grünen Schlosses.
»Jedes Jahr kommen Hunderte von
Schulklassen aus ganz Deutschland nach Weimar, um die klassischen Stätten zu besuchen«,
sagte Knoche. »Lehrer und professionelle Führer versuchen, die Schüler für das kulturelle
Erbe der Stadt zu interessieren. Oft gelingt dies, vielfach aber reden Erwachsene
und junge Menschen aneinander vorbei. Wie wäre es, wenn eines Tages Schüler von
Schülern geführt würden?«
Ein allgemeines Gemurmel setzte
ein. Ich fand die Idee hervorragend. Busche brummte etwas vor sich hin, das sich
wie Unsinn und Quatsch anhörte.
»Bitte, meine Damen und Herren,
wir brauchen uns mit der Idee als solche nicht auseinanderzusetzen, die Klassik
Stiftung Weimar hat mit Unterstützung des Thüringer Kultusministeriums und der Friedrich-Schiller-Universität
Jena bereits beschlossen, dieses Projekt durchzuführen.«
»Und warum sitzen wir dann überhaupt
hier?«, fragte Busche.
»Weil wir zwei Abgeordnete in die
Projektleitungsgruppe entsenden dürfen. Und die sollten wir heute bestimmen.«
»Das wird doch sowieso wieder der
Wilmut!«, nörgelte Busche.
Dr. Knoche grinste. »Das ist ein
sehr guter Vorschlag, Herr Busche, denn Herr Wilmut verfügt als Hochschullehrer
über das entsprechende didaktische Verständnis.«
Busche lief rot an, sagte aber nichts.
»Weiterhin brauchen wir einen zweiten
Kollegen, und da haben Frau Knüpfer und ich an einen sehr erfahrenen Mann gedacht,
der die Örtlichkeiten und auch die Organisationsstrukturen der Klassik Stiftung
sehr gut kennt, weil er schon viele verschiedene Funktionen in der Stiftung innehatte.«
Alle sahen Dr. Knoche gespannt an.
Er warf Frau Knüpfer einen kurzen Blick zu. Sie beugte sich nach vorn und verschränkte
die Arme vor sich auf der Tischplatte. »Wir dachten da an Sie, Herr Busche!«
Busche riss die Augen auf. »Ich?
Mit Herrn Wilmut?«
»Ja, genau«, antwortete Dr. Knoche,
»oder möchten Sie an dem Projekt vielleicht gar nicht teilnehmen, dann finden wir
bestimmt …«
»Doch, doch, natürlich, nur …«
»Nur was?«, fragte Frau Knüpfer.
»Nichts, schon gut.«
»Herr Wilmut, sind Sie einverstanden?«,
fragte der Direktor.
»Natürlich, gerne«, antwortete ich.
»Sonst irgendwelche Einsprüche
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