Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
oder
Bedenken?« Dr. Knoche blickte in die Runde. Alle schüttelten den Kopf.
»Gut, dann gibt Ihnen Frau Knüpfer
jetzt noch ein paar allgemeine Informationen zu dem Projekt …« Er machte eine einladende
Handbewegung in Richtung seiner Stellvertreterin.
»Das Projekt trägt die Bezeichnung
›Cicerone – Schüler führen Schüler‹«, erklärte Frau Knüpfer, »das Wort Cicerone beruht auf einem scherzhaften Vergleich mit der Beredsamkeit von Marcus Tullius
Cicero. Nun ja … ich bin nicht begeistert von dieser Projektbezeichnung, aber das
wurde an anderer Stelle entschieden. Geisteswissenschaftlich interessierte Jugendliche
werden in mehreren Intensivkursen dazu ausgebildet, selbst Schulklassen zu führen.
Das Projekt teilt sich in drei Stufen. Wir sind an Stufe Eins beteiligt, die sich
hauptsächlich an Schüler der Jahrgangsstufe 11 mit dem Leistungsfach Deutsch richtet.
Der inhaltliche Bogen spannt sich von Goethe bis Gropius. Herr Wilmut wird als Seminarleiter
für sein Spezialgebiet Johann Wolfgang von Goethe fungieren, Herr Busche wird ihm
in allen Fragen der Organisation und Koordination den Rücken freihalten.«
Busche verzog keine Miene.
»Werden den Schülern denn Unterkünfte
bereitgestellt?«, fragte eine Kollegin.
»Ja, auch das, und zwar im Wielandgut
in Oßmannstedt, dort ist genug Platz. Die Unterkunft wird finanziell unterstützt,
die Schüler haben jedoch einen eigenen, adäquaten Beitrag zu leisten.«
Alle schienen zufrieden.
Dr. Knoche räusperte sich. »Sonst
noch Fragen? Keine? Gut … Herr Wilmut und Herr Busche, Sie nehmen bitte zusammen
mit Frau Knüpfer heute Nachmittag um 15 Uhr an der konstituierenden Sitzung des
Projekts Cicerone drüben im Schloss teil.«
Busche und ich nickten zustimmend.
›Drüben im Schloss‹ hieß im internen Weimarer Sprachgebrauch: im Sitzungssaal des
großen Residenzschlosses.
»Ich danke Ihnen, wir machen eine
kurze Pause, in zehn Minuten geht’s weiter. Einziges verbleibendes Thema ist die
Renovierung der historischen Bibliothek.«
Auf der Toilette traf ich Busche.
Ich versuchte, in möglichst neutralem Tonfall zu sagen: »Also, dann auf gute Zusammenarbeit!«
Die Antwort kam prompt: »Ihren Sarkasmus
können Sie sich sparen!«
Es wurde Zeit, einmal in Ruhe mit
dem Kollegen Busche zu reden, ihn zu fragen, was eigentlich sein Problem sei und
ob wir dies zusammen aus dem Weg räumen konnten. Wenn es sein musste, mithilfe einer
Flasche Aro. Dazu musste ich aber den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort
abwarten.
»Das neue Archiv ist bezugsbereit«,
erklärte Dr. Knoche. »Morgen werden wir damit beginnen, die Bücher und Exponate
aus dem Grünen Schloss in das neue Archiv zu überführen, um sie dort zwischenzulagern.
Dann wird mit der Renovierung des Rokokosaals und der umliegenden Gebäudeteile begonnen.
Im zweiten Schritt folgt dann der Bücherturm. Frau Knüpfer verteilt jetzt einen
Ablaufplan für morgen und Samstag. Sie wissen ja bereits, dass wir unter diesen
besonderen Umständen auch am Samstag arbeiten müssen, Freizeitausgleich können Sie
in meinem Sekretariat beantragen. Ausgenommen von diesem Arbeitsplan sind Herr Busche
und Herr Wilmut, die sich, wie bereits gesagt, um das Cicerone-Projekt kümmern.
Beide stehen uns im Notfall allerdings zur Verfügung.«
»Was für ein Notfall sollte das
denn sein?«, fragte Busche.
Knoche sah ihn unschlüssig an. »Na,
Sie können Fragen stellen! Nur im äußersten Notfall, da müsste schon …«
»… die Bibliothek abbrennen?«
Frau Knüpfer schoss aus ihrem Stuhl
hoch. »Herr Busche, mit solchen Dingen macht man keine Witze!«
»Aber …«
»Kein Aber, solche Scherze möchte
ich nicht hören. Den Albtraum jedes Bibliothekars brauchen Sie hier nicht zu verbalisieren!«
Ihre Hände zitterten. Sie setzte
sich wieder. Busche hob die Augenbrauen und schwieg. Wir alle waren ziemlich beeindruckt.
So hatten wir Frau Knüpfer noch nie erlebt.
Knoches hohe Stirn war von einer
feinen Rötung überzogen. Er blickte uns über seinen Brillenrand an. »Haben Sie Fragen
zum Ablaufplan?«
Es gab noch viele Fragen, Gruppen
wurden gebildet, Zeitpunkte abgestimmt, Büchersegmente zugeordnet. Anschließend
gingen die meisten mit Frau Knüpfer in das neue Tiefarchiv.
»Herr Wilmut, Sie kommen bitte gleich
mal in mein Büro!«, rief Dr. Knoche beim Verlassen des Konferenzraums. Ich winkte
zustimmend.
Ich war froh, Dr. Knoche als meinen
Zweitchef zu haben. Mit ihm konnte man reden, ruhig und
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