Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
Busche!«, tadelte ich,
während er sich für sein Alter äußerst behände auf meinen Bürostuhl schwang und
sich in das Bibliothekssystem einloggte. Es dauerte etwa zwei Minuten, dann erschien
der Titel auf dem Bildschirm.
»Hier, sehen Sie!«, sagte er triumphierend
und drehte den Monitor zu mir herüber.
›Die Steinkunde als fürstliche
Lieblingswissenschaft gepriesen in einer Rede zur Feier des silbernen Jubelfestes
der Großherzoglichen Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena von Dr. Johann
Friedrich Heinrich Schwabe‹
Meine Magenmühle begann zu rotieren.
Mir wurde schwindlig, ich musste mich setzen. Steinkunde, Frauenstein, Amazonit,
Jena – ein Puzzleteil fügte sich ins andere.
»Ich brauche den kompletten Text«,
sagte ich leise.
»Wie gesagt, da müssen Sie bis nächste
Woche warten. In den Rokokosaal darf niemand mehr hinein, morgen wird alles ins
Archiv gebracht. Erst ab Montag haben wir wieder Zugriff.«
»Busche, das ist eindeutig zu spät!«,
sagte ich.
Er sah mich irritiert an. »Was ist
das jetzt wieder für eine Spinnerei von Ihnen, Sie arbeiten doch wohl nicht am Wochenende,
oder?«
»Es ist privat.«
Er sah mich an. »Geht’s Ihnen nicht
gut?«
»Es ging mir tatsächlich schon mal
besser, aber hören Sie, ich bin in einer prekären Situation …« Wie soll man das
jemandem erklären, wenn nicht in der Gesamtfassung. Konnte ich Albert Busche vertrauen?
Meine Magenmühle hatte aufgehört, sich zu drehen. Ich betrachtete das als spontane
Zustimmung.
»Herr Busche, ich brauche Ihre Hilfe,
bitte!«
Er stand auf. » Sie brauchen meine Hilfe? Das ist ja mal was ganz Neues.«
»Stimmt. Aber so ist es. Darf ich
Ihnen erzählen, um was es geht? Dauert aber ein paar Minuten …«
Ich stand auf und schloss die Tür
zu meinem Büro. Dann berichtete ich vom Kern der Geschichte, zum fünften oder sechsten
Mal, und bat ihn, vorläufig alles absolut vertraulich zu behandeln. Er hatte von
den drei Morden in der Zeitung gelesen, insofern war er sofort im Bilde. Und zu
meinem größten Erstaunen war er geradezu begierig, mir zu helfen.
»Passen Sie auf«, meinte er in einem
fast schon verschwörerischen Ton, »die einzige Möglichkeit ist morgen früh gegen
6 Uhr, da ist noch niemand im Grünen Schloss, die Handwerker und die Umzugshelfer
sind für 8 Uhr bestellt, der Hausmeister wird wohl gegen 7 Uhr dort sein. Ich habe
alle Schlüssel, wir müssen nur das Regal finden, die Ordnungsnummer habe ich bereits,
und dann den zugehörigen Karton, in den die Zeitschriften verpackt wurden, der steht
vermutlich direkt davor. Wir haben nur eine Stunde Zeit.«
»Mann, Busche, Sie sind ein Genie!«
»Das haben Sie heute schon zum zweiten
Mal gesagt, den Tag muss ich im Kalender rot anstreichen!«
Ich kannte Busche nur mit eingefrorenem
Gesicht. Dass er auch eine gewisse Art von Humor besaß, war mir völlig neu.
»Alles klar«, sagte ich, »wir sehen
uns später zur Sitzung im Residenzschloss.«
»Und morgen früh um 6 Uhr am Hintereingang
des Grünen Schlosses.«
Endlich ein konkreter Hinweis. Und ich hatte recht behalten mit meiner
Vermutung: Der Kassibertext hatte tatsächlich mit Goethe zu tun. Ein bisschen stolz
war ich schon darauf. Aber noch hatten wir das Rätsel nicht vollständig gelöst.
Es war bekannt, dass ich mich auf Goethe, sein Leben und sein Werk spezialisiert
hatte. Der Kerl wollte mich offensichtlich genau hier packen, an der Stelle, an
der ich mich am sichersten fühlte. Ganz schön mutig von ihm. Aber warum? Es schien
fast so, als wolle er mich bestrafen. Ja, bestrafen war das richtige Wort.
Aber wofür?
Ich musste die Neuigkeiten sofort
loswerden. Hanna ging ans Telefon, sie wirkte jedoch unkonzentriert und fahrig,
der Alltag mit einer Todkranken war schwer. Da Karola nicht zu Hause war, hatte
Hanna sich Urlaub genommen. Natürlich freute sie sich über meine neuen Erkenntnisse.
Eine Sorge weniger. Ach ja, Karola hatte heute Mittag angerufen, es gehe ihr gut,
sie könne aber nicht sagen, wo sie sich aufhalte und wann sie zurückkomme. Sehr
seltsam. Ich verzichtete auf eine eingehende Diskussion über die Steinkunde und
mögliche Mörder, das wäre zu viel für sie gewesen. Stattdessen bot ich ihr Hilfe
an, ja, bitte, einkaufen, Apotheke und Supermarkt, gerne, bis später.
Danach rief ich Siggi an. Er interessierte
sich sehr für meine neuen Erkenntnisse.
»Du meinst also, er will dich bestrafen?«,
fragte er.
»Genau, und ich würde sogar noch
einen Schritt weiter
Weitere Kostenlose Bücher