Goetheruh
murmelte Siggi.
»Endlich hat er einen Fehler gemacht!«, ergänzte ich.
Siggi gab mir ein Zeichen und ging zur Tür. »Ich muss ins Präsidium, bitte entschuldigen Sie mich!«
Damit war er verschwunden. Er wusste, dass ich die Situation vor Ort klären würde. Ich nahm mir fast eine Stunde Zeit, um mit Adler und seiner Tochter zu sprechen. Es war nicht leicht, weil ich einerseits dem Bedürfnis der beiden nach Information nachkommen musste, andererseits aber keine geheimen Informationen preisgeben durfte.
Mittlerweile schien auch Clarissa Singer den Ernst der Lage erkannt zu haben und wirkte etwas verängstigt.
Ich bestätigte nochmals, dass der Personenschutz in jedem Fall beibehalten würde, so lange, bis der Täter gefasst war. Das war zwar nicht mit Siggi abgesprochen, doch so weit glaubte ich die Gepflogenheiten der Polizei nun zu kennen. Im Notfall konnte das LKA die Bewachung übernehmen, schließlich war ja der Ministerpräsident betroffen. Nachdem ich Clarissa Singer etwas beruhigt hatte, steckte ich die Blätter mit den E-Mails ein und verabschiedete mich.
Es war spät geworden. Ich setzte mich ins Auto und probierte Hanna zu erreichen – ohne Erfolg. Wie konnte ich ihr nur wieder nahekommen? Ich war verwirrt und mein Kopf voll von den Erlebnissen und Eindrücken der letzten Tage. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriffen hatte, dass wir den endgültigen Beweis hatten: Jens Gensing war der Täter. In dieser Verfassung saß ich ungefähr zehn Minuten lang im Auto, vielleicht waren es auch zwanzig. Dann schaltete ich das Radio ein und fuhr los. John Lennon sang ›Imagine‹. Immer wieder tauchte Hannas Bild vor mir auf. Ich passierte das Stadion und folgte der Fuldaer und der Trierer Straße. Kurz vor der Hegelstraße änderte ich meinen Plan intuitiv und bog ab in die Humboldtstraße. Es ging den altbekannten Berg hinauf. Vor Büchlers Haus hielt ich kurz an und warf die Visitenkarte des Ministerpräsidenten in den Briefkasten. Zufrieden fuhr ich nach Hause. John Lennon hatte gerade seinen Song beendet. John! Den hätte ich beinahe vergessen. Ich wählte Siggis Nummer.
»Gibt’s was Neues von Cindy?«
»Nein, tut mir leid, wir lassen sie bundesweit suchen, aber bisher gibt es keine Reaktion.«
»Dann müssen wir wohl abwarten.«
»Ja, auch zu Jens Gensing gibt es keine neuen Entwicklungen.«
»Sag mal, Siggi …«
»Ja?«
»Die E-Mail-Adresse, ist das der endgültige Beweis?«
»Eindeutig. Ich denke, jeder Richter wird das so sehen. Die Frage ist nur, ob Göschke auch dieser Ansicht ist!«
»Du meinst, Göschkes Meinung ist wichtiger als die des Richters?«
Siggi lachte. »Absolut gesehen nicht, aber wenn Göschke Zweifel an unseren Beweisen hat, bekommen wir erst gar keinen Haftbefehl!«
»Hmm …«
»Außerdem müssen wir Gensing erst mal finden!«
»Das ist wohl das größte Problem.«
»Übrigens, ich habe mir eben die persönlichen Daten von Clarissa Singer nochmals aufmerksam durchgesehen, und da ist mir etwas aufgefallen!«
Ich wartete.
»Frau Singer heißt mit vollständigem Namen Clarissa Viola Singer!«
»Und?«
»Bei Jens Gensing hatte der zweite Name Werner ja auch eine Bedeutung, da dachte ich …«
»Gut, Siggi, danke, ich denke mal drüber nach!«
»Hendrik, der große Denker!«, lachte er. Doch mir war nicht nach Scherzen zumute.
Ich rief John an und teilte ihm mit, dass es noch nichts Neues von Cindy gab. Er tat mir sehr leid. Ich konnte allerdings nicht zu ihm fahren, da Benno und ich mit Felix verabredet waren. Eine heikle Mission wartete auf uns.
*
Er wartete vor ihrem Haus. Es roch nach frischem Fleisch und er schüttelte sich vor Ekel. Doch er musste durchhalten. Nach fast zwei Stunden kam sie endlich heraus. Sie ging zu Fuß in die Einkaufszone und verschwand zwischen den Leuten. Er folgte ihr unauffällig. Einmal hätte er sie fast verloren. Er ärgerte sich, denn das konnte weitere Stunden vor ihrem Haus bedeuten. Doch zum Glück fand er sie wieder, sie stand vor einem Schaufenster. Dann lief sie in Richtung Herderkirche. Wir haben wieder mal Glück, dachte er. Sie bog in eine kleine Gasse ein. Er kannte sich hier gut aus, rannte durch die Parallelstraße, um sie zu überholen, und kam dann wie zufällig vor ihr am Herderplatz an. Gelangweilt, schlenderte er direkt auf sie zu.
Sie blieb stehen und fragte, was er hier mache. Er spielte den Überraschten und erklärte, er sei gerade auf dem Weg zum
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