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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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»Ebenso wie Sie, Herr Wilmut!«
    Ich schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln.
    »Was genau haben Sie mit Jens durchgenommen?«, fragte ich.
    »Nun, in seinem Kurs hatten wir den Götz …« Sie dachte nach. »Den Werther und verschiedene Gedichte.«
    »War Jens ein guter Schüler?«
    »In Deutsch war er nicht nur gut – er war exzellent!«
      »Was meinen Sie damit?«
    »Nun, er war höchst interessiert an Literatur, sehr belesen und ungemein ausdrucksstark.«
    »Könnte man sagen, dass er eine besondere Affinität zu Goethes Werken hatte?«
    Sie überlegte. »Ich weiß nicht, ich würde das nicht nur auf Goethe beschränken, er war auch sehr interessiert an anderen Dichtern: Schiller, Lessing oder Wieland.«
    »Hmm … ist Ihnen sonst irgendetwas Seltsames an Jens’ Verhalten aufgefallen?«
    »Nein, eigentlich nicht. Außer … eine Sache vielleicht …«
    »Ja?«
    »Das ist wahrscheinlich nur für mich als Lehrerin von Belang: Er hat in Deutsch nur beste Noten bekommen und am Ende im Abiturzeugnis 15 Punkte. Nur ein einziges Mal schrieb er eine Literaturarbeit, die war so einseitig und miserabel, dass ich ihm gerade mal eben fünf Punkte geben konnte.«
    »Erinnern Sie sich an das Thema?«, fragte ich.
    »Natürlich, es ging um einen Vergleich von Goethes Werken mit denen von Herder. Er ließ kein gutes Haar an Herder und konnte kaum kritische Punkte bei Goethe finden, obwohl wir im Unterricht einige herausgearbeitet hatten!«
    »Bringt uns das irgendwie weiter?« Siggi sah mich fragend an.
    Ich war unschlüssig. »Jedenfalls bestätigt es mein Bild von Jens …«
    »Und Sie meinen, Jens hat etwas mit dem Kunstraub im Goethehaus zu tun?«, erkundigte sich Frau Singer.
    Siggi zögerte. »Es sieht ganz danach aus, aber es gibt weiterhin Unklarheiten, bitte sprechen Sie vorläufig mit niemandem darüber!«
    »Selbstverständlich nicht.«
    »Wann haben Sie Jens zuletzt gesehen?«
    »Vor ungefähr drei Monaten.«
    »Telefoniert?«
    »Nein, aber er schreibt mir ab und zu eine E-Mail.«
    »Aha, darf ich nach dem Inhalt fragen?«
    »Aber natürlich. Es geht meistens um literarische Themen, um Gedichte, um Figuren und so weiter. Zuletzt ging es um ein Gedicht …«
    Ich forderte sie mit einer Handbeweging auf, weiterzusprechen.
    »›Vermächtnis‹!«
    » Kein Wesen kann zu nichts zerfallen! «, begann ich. » Das Ewge regt sich fort in allen, am Sein erhalte dich beglückt! «
    Sie ergänzte: » Das Sein ist ewig: denn Gesetze, Bewahren die lebendgen Schätze, …«
    Ich sah Clarissa Singer an. Besser gesagt, ich sah durch sie hindurch. Kein Wesen kann zu nichts zerfallen … war das sein Halt, seine Hoffnung auf dem Weg zum geistigen Zerfall? Einen kurzen Moment spürte ich so etwas wie Mitleid mit Jens Gensing.
    »Hat er irgendetwas geschrieben von seiner derzeitigen Situation, was er macht oder was er vorhat?«, fragte Siggi.
    »Nein, überhaupt nichts!«
    »Wissen Sie, dass er in psychiatrischer Behandlung ist?«
    »Wie bitte?«
    »Ja«, bestätigte ich, »er leidet an einer schweren Persönlichkeitsstörung, die sein Wesen zunehmend verändert.«
    »Ach du liebe Zeit, das … das tut mir leid!« Sie war offensichtlich geschockt. Sie stand auf und ging zum Fenster. Ihr Vater trat zu ihr, um sie tröstend in den Arm zu nehmen.
    »Könnten Sie uns einige dieser E-Mails ausdrucken?«, bat Siggi, »Herr Wilmut sollte sie sich ansehen, vielleicht bringt uns das weiter.«
    »Ja, natürlich«, murmelte sie und verschwand im Nebenzimmer. Kurz darauf hörten wir einen Drucker brummen. Siggi unterhielt sich mit dem Ministerpräsidenten über die Bewachung seiner Tochter. Ich saß auf der Couch und überlegte. Nach ein paar Minuten kam Clarissa Singer zurück. Sie hielt einige Blätter in der Hand, die sie mir reichte. Ich überflog den Inhalt.
      »Irgendwas Auffälliges?« Siggi sah mir über die Schulter.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Welche E-Mail-Adresse hat er benutzt?«
    »Die seines Vaters.« Ich deutete mit dem Finger darauf: »Hier: [email protected]
    Der Hauptkommissar nickte. Ich blätterte weiter. Ich zeigte Frau Singer einen der Ausdrucke. »Ist dies die letzte Nachricht von Jens?«
    »Ja. Da hat er seltsamerweise eine andere Adresse verwendet, ich wollte sie erst gar nicht öffnen, wegen möglicher Viren, Sie wissen schon …«
    Obwohl es sommerlich warm war, begann ich plötzlich zu frieren. »Siggi …!«
    Ich deutete mit dem Finger auf die Absender-Adresse: [email protected].
    »Endlich …«,

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