schmeckte ab. Ein wenig zu viel Peperoni, egal, es musste jetzt schnell gehen. Noch zwei Minuten für die Nudeln. Zeit genug, um mich kurz an den Laptop zu setzen und meine Mails durchzusehen. Eine Nachricht sprang mir sofort ins Auge, sie war von Hanna: ›Hast Du morgen Abend Zeit für eine Pizza?‹ Das war alles. Und doch war es sehr viel. Ich atmete tief durch und antwortete ebenso knapp: ›Ja, für eine Pizza und mehr!‹.
Eine Sekunde später wich meine Freude einem Schock: Eine Mail von
[email protected].
Er war wieder da. Er wollte sein Spiel weiterführen. Seine Energie war ungebremst, sein Zwang brauchte Erfüllung. Langsam griff ich zur Maus und öffnete mit einem Klick die E-Mail.
Erlkönig – nur dieses eine Wort. Erlkönig – das war alles.
11. Erlkönig
I
ch weiß nicht, wie lange ich auf dieses Wort starrte. Die halbe Nacht brütete ich über der Ballade und überlegte, in welcher Beziehung sie zu unserem Fall stehen könnte – ohne Ergebnis. In der Küche quoll eine dicke, weiche Spaghettimasse aus dem Topf. Ich wollte den anderen wenigstens eine Idee präsentieren, irgendeinen noch so waghalsigen Zusammenhang mit den bisherigen Geschehnissen – schließlich war das meine Aufgabe. Doch mein Kopf war leer, ebenso leer wie mein Magen. Spät in der Nacht fiel ich ohne Ergebnis todmüde ins Bett. Die Herdplatten liefen weiterhin auf niedriger Stufe. Die Spaghettimasse hatte sich inzwischen über den heißen Herd verteilt und war mit diesem eine unheilvolle Verbindung eingegangen. Die Soße war zu einer undefinierbaren roten Masse reduziert worden, die wie Magma vor sich hinblubberte. Von all dem bekam ich jedoch nichts mit, denn ich schlief – unruhig, aber tief, nicht ahnend dass mich meine Küche am nächsten Tag an die Grenzen meiner hausmännischen Fähigkeiten bringen würde.
Als ich am Freitagmorgen die Augen aufschlug, waren meine Gedanken sofort bei Jens Gensing. Selbst das Chaos in der Küche konnte mich nicht ablenken. Ich schaltete die Herdplatten ab, würdigte die Küche ansonsten keines Blickes und fuhr direkt ins Polizeipräsidium. Ich traf Siggi und Hermann auf dem Büroflur. Sie spendierten mir einen Automatenkaffee, was ich normalerweise als Beleidigung angesehen hätte. Aber heute war es mir egal. Wir diskutierten über die abweichende Schuhgröße und über den Erlkönig. Ebenso über die Mail von Jens an seine Deutschlehrerin. Kriminalrat Göschke kam vorbei, stellte einen Plastikbecher in den Automaten und drückte den Latte-Macchiato-Knopf. Während sich der Becher mit bräunlichem Wasser und Milchpulver füllte, entschied er, dass keine weiteren Nachforschungen bezüglich Jens Gensing angestellt werden sollten. Er sei schon immer gegen eine Täterschaft von diesem Gensing gewesen und die abweichende Schuhgröße bestätige das ja nun auch. Auf meine Frage, wie er denn die eindeutige E-Mail an seine Deutschlehrerin in diesem Zusammenhang interpretiere, sah er mich mild lächelnd an und meinte, ein Nachahmungseffekt sei leicht möglich, wenn meine Mitwirkung an dem Fall und meine E-Mail-Adresse bekannt geworden sei, warum dann nicht auch die des Täters? Solch eine E-Mail-Adresse könne sich schließlich jeder leicht im Internetcafé zulegen. Um ganz sicher zu gehen, schickte er Kommissar Hermann in die Eduard-Rosenthal-Straße, um die Schuhe von Jens Gensing zu kontrollieren. Kurze Zeit später rief Hermann aus der Psychiatrie an und bestätigte die Übereinstimmung mit der von mir in Gensings Haus festgestellten Schuhgröße 44. Jens Gensing war rehabilitiert. Jedenfalls für den Kriminalrat.
Ich ging mit Siggi in sein Büro. Wir holten die Flasche aus dem Versteck und genehmigten uns jeder einen Aro. Das musste jetzt sein. Erich lag auf seiner Decke und knurrte. Was sollten wir tun? Auch Siggi hatte keine zündende Idee. Das Einzige, was ihm einfiel, war, Blume erneut durch die Mangel zu drehen. Mir kam in den Sinn, dass Göschke mit einer Sache falsch lag: Kein Provider und keine Software kann zulassen, dass zwei E-Mail-Adressen exakt identisch sind. Also war die Geschichte von der Nachahmung kompletter Unsinn. Siggi stimmte zu, klärte mich jedoch darüber auf, dass der Kriminalrat von solchen Dingen nichts verstand und auch nichts verstehen wollte. Das war also mein persönliches Resümee für die letzten knapp drei Wochen: Die Buchrezension wartete, ich hatte bisher keine Fachhochschule für den jungen Mann mit den grünen Haaren gefunden, Cindy war verschwunden, ich