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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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Polizeikollegen das bereits erledigt hatten. John hatte alle Bekannten und Freunde angerufen, lediglich eine Freundin hatte morgens gegen 9 Uhr mit ihr telefoniert, es sei aber um nichts Besonderes gegangen, sie hätten nur ein normales Gespräch unter Freundinnen geführt. Auch an Cindys Arbeitsplatz in der Weimarer Musikhochschule hatte John sich bereits erkundigt, auch hier war keinem etwas Besonderes aufgefallen. Ihr Auto stand auf dem Parkplatz, ihre Handtasche war verschwunden. Ich versprach John, die wenigen neuen Erkenntnisse an Siggi weiterzugeben und ihn ansonsten auf dem Laufenden zu halten. Er war sehr dankbar, dass wir uns um ihn kümmerten und schlug vor, bald wieder gemeinsam Pizza zu essen, wenn Cindy wieder aufgetaucht war.
    Am späten Nachmittag machten wir uns auf den Heimweg. Schweigsam gingen wir zu meinem Auto. Es war schwül und mir wurde es eng um den Hals.
    »Lass uns bitte etwas spazieren gehen, ich muss hier raus!«
    »Aus der Stadt? Oder aus deiner Haut?«, fragte Hanna sanft.
    »Aus beidem!«
    Wir parkten am Beethovenplatz und gingen direkt in den Ilmpark. Die kühle Luft, die vom Fluss hochstieg, tat sehr gut. In der Nähe von Goethes Gartenhaus setzten wir uns auf eine halbkreisförmige Steinbank, die von dunkelroten Rosen und blauen Glockenblumen eingerahmt wurde. Wir hielten uns an den Händen und ich lehnte mich langsam zurück, um in die Baumkronen blinzeln zu können. Wie erholsam und beruhigend doch ein Blick in das natürliche Grün immer wieder sein kann. Wer hatte das wohl so eingerichtet?
    »Hendrik?«
    »Ja?«
    »Sag bitte mal den Erlkönig auf.«
    »Was?«
    »Komm, bitte!«
    »Also gut:
    Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
      Es ist der Vater mit seinem Kind.
    Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
    Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm. «
    Meine Lust am Rezitieren hielt sich sehr in Grenzen.
    »Ach, Hendrik, so geht das nicht«, schmollte Hanna, »wenn du das so runterleierst, ganz ohne Stil und Pathos, dann … kann ich nicht überlegen!«
    Ich erhob mich und stellte mich einige Meter vor ihr auf. Eine Hand steckte ich in die Hosentasche, die andere zeigte galant in Richtung Gartenhaus.
    » Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
    Siehst Vater, du den Erlkönig nicht?
    Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? –
    Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. – «

     
    »Gut so, weiter!«

     
    » Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
    Gar schöne Spiele spiel ich mit dir,
    Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
    Meine Mutter hat manch gülden Gewand .«

     
    Irgendjemand klatschte. Wir sahen uns um. Es war Desiree Schlipsack, die attraktive Psychiaterin mit dem unattraktiven Nachnamen. Sie führte ihren Hund spazieren. Es war ein großer, mächtiger Berner Sennenhund, der eigentlich gar nicht zu der zierlichen Person passte. Ich stellte die beiden Frauen einander vor und Desiree setzte sich zu Hanna auf die runde Bank.
    »Was machen Sie denn hier im Park, mit dem … Erlkönig?«
    »Wir versuchen, den Kunstdieb zu finden«, antwortete Hanna.
    Ich war überrascht.
    Desiree auch. »Ich dachte, der sei bereits gefasst?«, meinte sie vorsichtig.
    »Ja, das berichten jedenfalls die Zeitungen«, erklärte Hanna langsam und mit Nachdruck.
    Nach einer Weile fragte Desiree: »Warum machen Sie nicht weiter, mit dem Erlkönig?«
    Ich sah Hanna an und sie machte eine auffordernde Geste.

     
    » Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
    Was Erlenkönig mir leise verspricht? –
    Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
    In dürren Blättern säuselt der Wind. –

     
    Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
    Meine Töchter sollen dich warten schön;
    Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
    Und wiegen und tanzen und singen dich ein .«

     
    Ein weiterer Fußgänger war stehen geblieben und hörte zu.

     
    » Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
    Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –
    Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
    Es scheinen die alten Weiden so grau. –

     
    Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
    Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!«

     
    »Halt!« Hanna sprang auf. Sie war blass und vollkommen aufgeregt. »Ich hab’s!«
    »Was denn?«, fragte ich. Meine Stimme klang blechern.
    Sie schluckte schwer. »Er hat Cindy entführt!«
    »Waaas?« Ich schrie so laut, dass man es im ganzen Park hören konnte.
    »Ist es dir denn gar nicht aufgefallen? Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt! «
    »Du meinst, er ist in eine

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