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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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Namen bislang nicht gehört hatte, wusste er doch sofort, dass es sich nur um den schmalen, groß gewachsenen Mann handeln konnte, der beim Gehen immer so seltsam den linken Arm schwenkte. Er besaß überhaupt keine Informationen über ihn. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, den Mann von irgendwoher zu kennen. Bilder zogen durch sein Gedächtnis und verschwanden wieder. Er musste mehr über Hendrik Wilmut erfahren, und zwar schnell.
    Ganz leise hatte er die Jacke wieder auf den Haken gehängt und war nach oben geschlichen. Er hatte die Bürotür von innen verschlossen und sich an den Computer gesetzt. Seine Recherche im Internet hatte ungefähr eine Stunde gedauert. Danach wusste er fast alles über seinen neuen Gegner. Ein Literaturwissenschaftler ausgerechnet, noch dazu aus dem Westen, war also seine größte Gefahr. Irgendwie stand Wilmut mit Stadtrat Kessler oder mit diesem Hauptkommissar in Verbindung, oder auch mit Bernstedt. Vor allem wusste er jetzt eines: Wilmut war ein profunder Kenner der Weimarer Szene, heute und zur Zeit der Klassik, und Wilmut war ein Experte in puncto Goethe. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, einen ebenbürtigen Gegner vor sich zu haben. Und er musste sich selbst eingestehen, dass ihm Wilmut einen gewissen Respekt abnötigte. Langsam lehnte er sich auf der Parkbank zurück und blinzelte in die Baumkronen. In das Grün seiner geliebten Bäume. Er beschloss, seinen Plan konsequent weiterzuverfolgen. Und er war sehr mit sich zufrieden.

     
    *

     
    Ich war verwirrt. Was sollten diese Schmuddelverse? Vermutlich stammten sie aus einer unveröffentlichten Komödie Goethes mit dem glanzvollen Titel: ›Hanswursts Hochzeit oder Der Lauf der Welt‹. Es war wohl dem Einfluss der Frau von Stein zu verdanken, dass dieses Stück nie publiziert wurde. Und das war auch besser, denn es enthielt Figuren wie Hosenscheißer oder Leckarsch, und das waren noch nicht einmal die deftigsten Beispiele. Da ich dieses Stück als dunkelstes Kapitel von Goethes Schaffenskraft betrachtete, besaß ich darüber auch keine Literaturnachweise, die musste ich mir nun erst besorgen.
    Die wildesten Gedanken kreisten in meinen Kopf. Was wollte der Kerl mir damit sagen? Warum diese erotischen Anspielungen? Stammte die E-Mail tatsächlich vom Täter? Wenn ja, woher wusste er überhaupt, dass ich mit diesem Fall befasst war?
    Mein Kopf schmerzte und meine Augen brannten. Dennoch musste ich sofort Benno anrufen. Es war inzwischen fast Mitternacht. Er ging sofort ans Telefon, offensichtlich hatte er bisher nicht geschlafen.
    »Hast du’s dir doch anders überlegt?«, fragte er.
    »Ich nicht, aber der Täter!«
    »Wie meinst du das?«
    »Ist bei dir schon eine E-Mail von unserem Mann eingegangen, zur ›Italienischen Venus‹?«
    »Nein, ich sitze schon die halbe Nacht hier und warte darauf.«
    »Diesmal habe ich die Nachricht bekommen!«
    »Waaas?«
    »Ja, diesmal hat er mich kontaktiert, er weiß von mir, von meiner Mitarbeit, verstehst Du?«
    Stille am anderen Ende.
    »Benno?«
    »Ja, ich bin noch dran. Pass auf, Hendrik, der Oberbürgermeister hat für morgen früh eine erweiterte Expertenkommission einberufen und du sollst dabei sein. Ich habe dir das heute Mittag nicht gesagt, weil du ja aussteigen wolltest. Aber jetzt …« Er brummelte einige undefinierbare Laute ins Telefon. »Der OB will, dass die Kommission so schnell wie möglich zusammentritt. Wann kannst du frühestens in Weimar sein?«
    »In zweieinhalb Stunden«, antwortete ich ohne Zögern. Mein Entschluss, aus dem Fall auszusteigen, war wie weggeblasen. Meine Kollegen an der Uni hätte sich über diesen schnellen Meinungswechsel nicht gewundert. Benno offensichtlich genauso wenig.
    »Quatsch, jetzt schläfst du erst mal ein paar Stunden. Ich würde sagen, wir beginnen um 9 Uhr, dann musst du nicht allzu früh aufstehen.«
    »Geht klar. Bis morgen früh also.« Ich wollte gerade auflegen, als mir noch etwas einfiel.
    »Ach, Benno.«
    »Ja?«
    »Sag mal, hast du mich einfach so … ohne meine Zustimmung für diese Expertenkommission eingeplant?«
    »Natürlich. Ich wusste, dass du dir das nicht entgehen lassen würdest.«
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Und du warst nicht sauer, als ich aussteigen wollte?«
    »Doch. Ich war sauer. Aber ich konnte es auch verstehen – es ist für uns alle eine enorme Belastung. Nun leg dich hin.«
    »Danke Benno!« Im Moment kam ich mir selbst ziemlich kompliziert vor. Aber Benno hatte mein inneres Chaos

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