Goetheruh
an, natürliche, positive Gestalt. Für ihn schien er die endgültige Lösung seines Plans zu sein, das Ende all seiner Überlegungen.
Doch er musste behutsam vorgehen. Wilmut würde ihn sonst durchschauen. Vor seinem Intellekt hatte er großen Respekt. Mit dem Hauptkommissar und dem Stadtrat hatte Wilmut außerdem zwei Freunde an der Hand, die seine Schlussfolgerungen sofort in Taten umsetzen würden. In Taten, die für ihn gefährlich werden konnten.
Zuerst würde er sich etwas anderes holen, etwas zur Vorbereitung seines endgültigen Plans. Und etwas, das seinen Drang zunächst befriedigen würde, um Zeit zu gewinnen. Er musste es endlich offen zugeben, vor sich und Wolfgang. Er musste zugeben, dass er von dieser Sucht befallen war. Er streckte seine Arme in den abendlichen Sommerhimmel und schrie laut: »Ich bin süchtig!« Er schrie es wieder und wieder, immer lauter, und es war befreiend und schön. Erst als ein alter Mann den Corona-Schröter-Weg heraufkam, verstummte er, machte sich auf den Weg zurück in sein Zimmer und war mit sich zufrieden.
*
Erstaunlicherweise schaffte ich es am Nachmittag, mich eine Zeit lang weiter mit Goethes Feinden und der angeblichen Feindschaft zwischen Goethe und Herder zu beschäftigen. Ich musste allerdings eingestehen, dass es mir keinen Spaß machte. Selbst ein Espresso zwischendurch konnte mich nicht aufmuntern. Für wen schrieb ich diese Buchrezension überhaupt? Sicher, für meinen Ruf in der Literaturszene. Mit einem lauten Seufzer arbeitete ich weiter.
Gegen Abend nahm ich eine Dusche und rasierte mich. Währenddessen hatte Hanna angerufen, aber nichts auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Ich hatte lange nicht mit ihr gesprochen. Langsam wie ein leichter Zahnschmerz machte sich das schlechte Gewissen in meinem Kopf breit. Ich versuchte es auf ihrem Handy, doch ich erreichte nur die Mailbox und hinterließ ihr eine Nachricht mit irgendeiner wirren Entschuldigung. Ich erwähnte, dass ich heute Abend mit Benno verabredet sei, und morgen volles Programm hätte mit Verabredung zum Mittagessen und einer erneuten Sitzung der Expertenkommission am Abend, sodass wir uns erst am Samstag wiedersehen könnten. Kaum hatte ich aufgelegt, fiel mir ein, dass ich am Samstag ja noch mit Siggi Tennis spielen wollte, na ja, das würde sich alles irgendwie regeln lassen.
Gegen 20 Uhr waren wir bei Benno in der Lisztstraße verabredet und ich schaffte es, mit nur zehn Minuten Verspätung dort einzutreffen. Es gab das, was es immer gab, wenn wir uns zu einem Männergespräch trafen: Nudelsalat und Ehringsdorfer Urbräu. Benno konnte ansonsten wirklich nicht kochen, aber sein Nudelsalat war phänomenal. Das Rezept stammte natürlich von Tante Gesa, doch sie hielt es geheim. ›Das ist ein Familienerbe, nur Benno darf es wissen und irgendwann mal seine Kinder‹, pflegte sie zu sagen.
Benno und Sophie heirateten spät, nachdem sie jeweils eine gescheiterte Ehe hinter sich hatten. Da gab es nicht wenige, die ihre Hochzeit sehr skeptisch sahen, doch ich hatte ein gutes Gefühl. Manchmal vertraue ich in solchen emotionalen Dingen bestimmten Zeichen, und wenn diese Zeichen aus einem literarischen Umfeld kommen, bin ich stets sehr zuversichtlich. Benno schaffte es nämlich tatsächlich, die Trauungszeremonie im Hof des Goethehauses ausrichten zu dürfen, direkt neben dem kleinen Brunnen. Selbst als Stadtrat war dies kein leichtes Unterfangen gewesen. So, dachte ich, hatte diese Ehe sowohl den Segen Gottes als auch den Segen Goethes.
Benno mochte es nicht, wenn die Wohnung allzu aufgeräumt war, das habe etwas Ungemütliches. Er brachte das Wohnzimmer manchmal absichtlich etwas durcheinander, damit es nicht zu steril wirkte. Für Sophie war das ein rotes Tuch, doch heute war sie nicht zu Hause. Einige lässig verstreute Zeitschriften und Sophies Hausschuhe neben der Couch waren klare Anzeichen für seinen Gemütlichkeitstick. Sehr interessant fand ich das mit den Hausschuhen. Es wirkte, als wollte er Sophie so vergegenwärtigen und neben sich haben.
Der Nudelsalat war gut wie immer, das Bier ebenso und zunächst aßen wir, ohne viel zu reden. Nach der zweiten Flasche wurde die Unterhaltung etwas flüssiger. Ich berichtete von meinem Gespräch mit Siggi über den Psychologen, was Benno mit einem zufriedenen Grunzen quittierte. Dann erzählte er seine Neuigkeiten.
Oliver Held war tatsächlich zur Vernehmung erschienen. Er hatte sich weiter in Widersprüche verstrickt. Und er
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