Goetheruh
Held hatte ich von Anfang an ein gutes Gefühl, ich wollte ihn unterstützen, ihm Lebenshilfe geben, auch für seine Karriere. Wahrscheinlich wäre das gar nicht nötig gewesen, er hätte sich wohl auch ohne mich gut durchgeschlagen, aber irgendwie drängte es mich, ihm zu helfen.« Er wandte sich wieder zu mir. »Ich dachte, er hätte es verdient.«
»Und nun möchtest du herausfinden, ob du recht hattest?«
»So ist es.«
»Du stellst also sozusagen deine Menschenkenntnis auf den Prüfstand?«
»So könnte man es nennen.«
»Vergiss aber nicht, dass es einige Jahre her ist, dass du ihn kennengelernt hast, dass du ihn sozusagen … als vertrauenswürdig eingestuft hast. Menschen ändern sich, teilweise durch schwerwiegende äußere Einflüsse.«
»Danke für deine Hilfe, mein Junge, aber damit muss ich schon selbst klarkommen.«
»Onkel Leo«, ich legte meine Hand auf seine Schulter, »du hast immer versucht, jeden Menschen in erster Linie als Mensch zu betrachten.«
»So, meinst du?«
»Aber natürlich!«
Onkel Leo schleppte sich zu seinem Stuhl zurück und setzte sich. Ich goss ihm ein Mineralwasser ein, das er dankbar entgegennahm. Während der nächsten halben Stunde sprach er kein Wort. Er war tief in Gedanken versunken und konnte unserer weiteren Diskussion zunächst nicht folgen.
Kommissar Hermann berichtete von der Auswertung der Spuren. Seine Leute hatten das gesamte Goethehaus auf den Kopf gestellt.
»Zunächst sei gesagt, dass wir keine der geraubten Gegenstände im Goethehaus gefunden haben, alles wurde demnach außer Haus gebracht. Nach der bis jetzt vorliegenden Spuren-Auswertung gelangte der Täter über die große Wendeltreppe ins Urbinozimmer und lief dann die gesamte berühmte Zimmerflucht entlang bis in den großen Sammlungssaal. Dort hat er den Großen Sammlungsschrank geöffnet, wiederum sehr versiert mit professionellem Werkzeug, ohne auch nur einen einzigen, von außen sichtbaren Schaden an der Schranktür zu hinterlassen. Hier haben wir, wie bereits gestern bei unserem ersten Treffen erwähnt, Spuren eines weißen Pulvers gefunden.«
»Konnten Sie dieses Pulver analysieren?«, wollte Benno wissen.
»Ja, aber dazu komme ich später – Entschuldigung! Wie schon vorgestern erwähnt, hat der Täter Fußabdrücke in Größe 46 hinterlassen, die allerdings kein Profil aufweisen. Nach sorgfältiger Analyse aller Abdrücke haben wir inzwischen festgestellt, dass er eine Art Überzug getragen hat, vermutlich aus Plastik. Wir haben aber bis jetzt noch kein handelsübliches Produkt gefunden, das zu den Spuren passen könnte. Möglicherweise hat er sich auch etwas Eigenes gebastelt, was unserer Erfahrung nach aber unwahrscheinlich ist.«
»Warum?«, fragte ich interessiert.
»Erstens weil er als Serientäter eher auf serienmäßig verfügbare Dinge angewiesen ist. Zweitens weil ich ihn für sehr intelligent halte und er weiß, dass persönliche Dinge ein hohes Risiko bergen, identifiziert zu werden.«
Das stimmte mit meiner Einschätzung überein, der Täter war sicher überdurchschnittlich intelligent.
»Die Fußspuren auf der Wendeltreppe waren glücklicherweise sehr gut zu interpretieren, da dieser Bereich für das Publikum gesperrt ist. Am Fuß der Treppe im Erdgeschoss verloren sich die Spuren allerdings, da hier der öffentliche Bereich beginnt, in dem die Putzkolonne gute Arbeit geleistet hat.«
Siggi schaltete sich ein: »Das heißt, wir können den Weg vom Beginn der Wendeltreppe im Erdgeschoss bis ins Große Sammlungszimmer und zurück genau rekonstruieren, wissen aber nicht, wie er an den Fuß der Wendeltreppe kam?«
»Genau so ist es. Wobei man der Vollständigkeit halber sagen muss, dass das untere Ende der großen Wendeltreppe eigentlich im Keller liegt, nicht im Erdgeschoss.«
»Sie reden immer von der großen Wendeltreppe«, meldete sich Peter Gärtner zu Wort, »gibt es denn eine weitere Wendeltreppe?«
»Es gibt tatsächlich noch eine zweite«, entgegnete Kommissar Hermann, »die wurde zu Goethes Zeiten nur vom Personal benutzt, vorwiegend um das Essen aus der Küche in den Speiseraum im ersten Stock zu bringen, und ist wesentlich kleiner, enger und sehr verwinkelt. Hier haben wir keinerlei Spuren gefunden, was auch schwierig wäre, weil diese Treppe größtenteils zum Publikumsbereich gehört.« Er holte tief Luft. »Und nun zu den Laborergebnissen!« Er sagte das in so bedeutendem Tonfall, dass alle aufhorchten. »Zunächst zu den Pulverspuren. Wir haben die
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