Goetheruh
er eine bessere Ausrede von mir erwartet hätte.
»Warum hatte der Täter damals eine Pause eingelegt, wissen Sie das?«, fuhr ich schnell fort.
»Er hat geheiratet.«
Mir lief ein Schauer über den Rücken.
»Wenn wir weiterhin praktisch vorgehen«, wechselte ich wieder zu unserem aktuellen Fall, »und einfach mal ausschließen, dass er eine unmotivierte Pause macht, und wenn wir die bisherigen Zeitabstände in Betracht ziehen, dann müssen wir damit rechnen, dass er … irgendwann in den nächsten Tagen wieder zuschlägt, oder?«
Der Psychologe wiegte den Kopf unschlüssig hin und her. »Kann aber auch sein, dass er jetzt tatsächlich pausiert, weil er nicht mehr in das abgeriegelte Gebäude hineinkommt.«
»Möglich«, murmelte ich nachdenklich. »Aber ich habe so ein dumpfes Gefühl, dass er sich davon nicht abhalten lässt.«
»Ihnen ist aber schon klar, dass er dann an unseren Wachen vorbeikommen und gleichzeitig die Alarmanlage ausschalten müsste!«
»Oder er kommt gar nicht von außen, sondern von innen.«
Der Psychologe sah mich entgeistert an. »Wie soll das denn gehen?«
»Keine Ahnung, vielleicht lässt er sich einschließen, oder …«
»… er wohnt da drin!«, ergänzte er lachend.
Und ich lachte mit, obwohl es mir innerlich gar nicht zum Lachen zumute war.
Nachdem wir gezahlt hatten, verweilten wir noch einen Moment draußen vor dem ›Weißen Schwan‹ und beobachteten die enttäuschten Touristen, die vor dem Goethehaus standen und nicht hineingelassen wurden.
»Schade, dass es so weit kommen musste«, kommentierte ich, »aber es ist die beste Lösung.«
»Na ja, die Leute werden es überleben!«, gab der Psychologe zurück.
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Das klingt ja nicht gerade so, als wären sie ein echter Goethe-Fan!«
»Das lässt sich so einfach nicht sagen. In meinem Elternhaus war Goethe sehr präsent, mein Vater war Deutschlehrer und meine Mutter arbeitete im Verlag ›Deutsche Klassik‹. Die Indoktrination war einfach so stark, dass sie während meiner Pubertätsphase ins Gegenteil umschlug und ich das Thema als Teil meiner Abgrenzung von den Eltern und zu meiner Adoleszenz-Entwicklung nutzte.«
»Verstehe!«
»Ich habe mir damals heftige Wortgefechte mit meinen Eltern geliefert, da ging es hoch her«, erzählte der Psychologe mit einem verschmitzten Lächeln. »Mein Anti-Gedicht schlechthin war:
Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut! «
»Aha, ›Das Göttliche‹ – Warum? Zu schwülstig?«
»Ja, zu schwülstig und zu idealistisch – eigentlich nur fürs Poesiealbum geeignet.«
»Das mag sein, ich denke aber, man sollte das eher als Zielrichtung nehmen, nicht als konkrete Lebensregel.«
»Ja, ja, das wurde mir auch immer gesagt. Ich solle das alles nur als Metapher sehen. Das ist mir aber zu schwammig«, fuhr er gestikulierend fort, »ich brauche es eben konkreter. Hat denn der alte Pudelkerner nicht mal was Eindeutiges schreiben können, an dem nicht Generationen von Schülern herumrätseln müssen?«
Ich fing herzlich an zu lachen. »Ich gebe zu, dass ausgerechnet dieses Gedicht nicht zu meinen Lieblingswerken von Goethe zählt, es entstand in einer recht frühen Phase, vielleicht noch etwas geprägt von einer Art … jugendlicher Glorifizierung. Aber den Pudelkerner muss ich mir merken, für meine Studenten!«
»Verraten Sie bloß nicht, dass der Ausdruck von mir stammt!«
»Nein, nein, keine Sorge!«
7. Der Besuch
U
m 18.45 Uhr betrat ich Bennos Büro. Onkel Leo und Benno waren bereits da, die erstaunten Blicke wegen meines überpünktlichen Erscheinens entgingen mir nicht. Kriminalrat Göschke, Siggi, Kommissar Hermann und der Psychologe trudelten nach und nach ein. Martin Wenzel wurde später aus London zurück erwartet.
Benno eröffnete das zweite Expertentreffen der Sonderkommission JWG. Als Erstes las er die zu beschließende Pressemitteilung vor. Kerninhalt war die Nachricht über die Schließung des Goethehauses für einen Zeitraum von ungefähr zwei Wochen. Als Begründung wurde eine Teilrenovierung zum Jahr der Kulturhauptstadt Europas angegeben. Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, dass die Wiedereröffnung durch eine weitere Pressemitteilung des Kulturdezernenten bekannt gegeben werde und dass bis dahin sowohl das Museum direkt neben dem Goethehaus als auch die Internetseite der ›Klassik Stiftung Weimar‹ sowie das Ladengeschäft der Stiftung in der Frauentorstraße besucht werden könnten. Einige lobten den Pressereferenten
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