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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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ausdrücklich für seine gute Kooperation bedanken!«
    Siggi lächelte wissend.
    Der Psychologe sah kurz zu mir herüber und begann vorzulesen: »Hier die erste Version unseres Täterprofils. Zunächst zur Identifikation. Geschlecht unbekannt, wahrscheinlich männlich. Alter: 16 bis 30. Der Täter kann profunde Kenntnisse zu Goethes Leben und Werken aufweisen, muss also über ein gewisses Bildungsniveau verfügen, daher wurde als Mindestalter 16 angenommen. Der Täter versteckt sich im Internet-Café zwischen jungen Leuten, daher das Maximalalter 30. Körperliche Merkmale: Schuhgröße 46, Körpergröße 1,80–1,95 Meter, sonstige Merkmale sind unbekannt. Bildungsstand, wie bereits erwähnt, hoch, wahrscheinlich Abitur, intelligent. Es ist wahrscheinlich, dass der Täter diese Kenntnisse nicht autodidaktisch erworben hat, sondern dabei angeleitet wurde durch eine ältere Person, Eltern, Lehrer, Bekannte mit literarischer Bildung etc. Weitere Fähigkeiten: handwerkliches Geschick, wahrscheinlich Übung im Umgang mit Metall, eventuell gelernter Schlosser oder ähnliche Metall verarbeitende Ausbildung.« Er sah kurz auf, um sich unserer Aufmerksamkeit zu versichern. »Nun zur psychologischen Tendenz. Grundsätzlich bestehen zwei Alternativen. Entweder der Täter ist ein bewusster, berechnender Straftäter. Er ist sich der Folgen seiner Handlungen voll bewusst und will die gestohlenen Exponate zu Geld machen. Diese Variante muss durch weitergehende polizeiliche Ermittlungen abgeklärt werden. Oder der Täter leidet an einer psychischen Erkrankung. Er möchte die Exponate einfach nur besitzen, um einen versteckten Wunsch, einen Wahn oder eine fixe Idee mit Zwangscharakter zu befriedigen. In diesem Fall handelt der Täter nicht in vollem Unrechtsbewusstsein, sondern unter Maßgabe seiner eigenen Wertvorstellungen. Dabei ist anzunehmen, dass er bereits in psychiatrischer Behandlung war oder weiterhin ist. Psychische Erkrankungen, die aus unserer derzeitigen – zugegeben beschränkten – Sicht am wahrscheinlichsten sind, wären die neurotische Störung – Stichwort Zwangshandlung – die Belastungsstörung, die dissoziative Störung, die emotional instabile Persönlichkeit und die Borderline-Störung . Im Falle einer Zwangshandlung wäre es wichtig, den Beweggrund zu kennen, also die Konstruktion des Wahns, die zugrunde liegenden überwertigen Ideen und Affekte. Bisher wissen wir nur, dass er auf Original-Exponate Wert legt, und vermuten deswegen, dass er sie selbst besitzen will, mehr können wir derzeit nicht aussagen. Bei den anderen genannten psychischen Störungen liegt die Ursache häufig in einer extremen Belastung während der Kindheit des Patienten. Gewalt spielt dabei eine wichtige Rolle, insbesondere sexuelle Gewalt. Oft entsteht bei diesen Patienten eine Art innere Leere, die gefüllt werden muss, zum Beispiel durch die selbstaufwertende Identifikation mit einer berühmten, verehrten Person. Aber auch extreme seelische Mangelzustände, hervorgerufen durch permanente Demütigungen, andauernde Vernachlässigung oder die komplette Ablehnung des Kindes sind entscheidend. Die Zeilen aus seiner dritten E-Mail: Das Unbeschreibliche, hier ist’s getan könnten dahin gehend interpretiert werden. Die derbe Ausdrucksweise der Zeilen aus Hanswursts Hochzeit ist laut Herrn Wilmut Goethes Mutter zuzuordnen, die eine sehr praktisch veranlagte Frau war und nachweislich selbst ähnliche Worte benutzte. Dies könnte ein indirekter Hinweis des Täters auf seine eigene Mutter sein, auf die er seine Schuldgefühle projiziert. Wie bereits erwähnt, sind dies jedoch bisher reine Thesen. Nun heißt es, herauszufinden, wie wir daraus praktische Erkenntnisse gewinnen können.«
      »Das habe ich mich auch schon gefragt«, rief Göschke in die entstandene Pause hinein.
    Der Psychologe reagierte sofort: »Und da ich mir dachte, dass Sie das interessiert, Herr Kriminalrat, habe ich die Antwort bereits vorbereitet.«
    »Wie überaus umsichtig«, trötete das Fagott sarkastisch vor sich hin. In diesem Moment war mir klar, wie zufrieden ich mit meinem Chef sein konnte.
    Der Psychologe fuhr unbeirrt fort: »Aufgrund des konstanten Modus Operandi gehen wir von einem Serientäter aus. Er wird möglicherweise durch einen Zwang getrieben und verschafft sich durch die Taten eine innere Erleichterung. Es ist damit zu rechnen, dass sich die Taten fortsetzen und dass die Abstände immer kürzer werden. Die erwähnten traumatischen

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