Goetheruh
von aufs Dach klettern über Tunnel graben bis Alarmanlage blockieren oder jemanden bestechen.
Zunächst wurde der Psychologe gefragt, welche Methode er aus seiner Sichtweise für wahrscheinlich hielt. Er meinte, dass Bestechung so gut wie auszuschließen sei, da wir den Täter als Einzelgänger einschätzten, der lieber auf sich allein gestellt und unabhängig arbeitete. Einen gewissen Perfektionismus konnten wir ihm auch zusprechen, sodass ihm die Beteiligung einer zweiten Person vermutlich zu unsicher erscheinen würde. Außerdem wusste der Psychologe zu berichten, dass sich 95% der Serientäter – gemäß der deutschen Serientäter-Datenbank Viclas – der Erfüllung ihrer Zwangsvorstellungen lieber allein hingaben. Das Thema Bestechung wurde also fallen gelassen. Die anderen drei Möglichkeiten passten durchaus zu dem derzeitig bekannten Profil des Täters.
Nun wurden die Polizisten Dorst, Hermann und Göschke um ihre Einschätzung gebeten. Die Ausschaltung der Alarmanlage wurde als nahezu unmöglich eingestuft, da Hermann den Hersteller in Erfurt vorsichtshalber gebeten hatte, den Sicherheitscode zu wechseln und in Expertenkreisen bisher kein einziger Fall bekannt war, in dem dieser Typ von Alarmanlage außer Gefecht gesetzt werden konnte. Über das Dach einzusteigen, hielt Hermann ebenso für unwahrscheinlich, da auch an allen Dachgaubenfenstern der Mansardenwohnung Alarmsensoren angebracht waren. Die Möglichkeit, Ziegel von dem alten Gebäude zu entfernen, war ein ernst zu nehmender Einwand. Einen Tunnel zu graben, erschien mir irgendwie zu weit hergeholt, doch die Kollegen mit DDR-Vergangenheit betrachteten das durchaus als realistische Möglichkeit. Wir beschlossen, uns auf die beiden wahrscheinlichsten Varianten zu konzentrieren, das Dach-Szenario und die Tunnel-Variante, ohne den Rest vollkommen aus den Augen zu lassen.
Als es darum ging, eine Gruppeneinteilung vorzunehmen, bemerkte ich, dass Benno sehr müde und fahrig wirkte. Es war fast 21 Uhr. Irgendwie war ihm die Luft ausgegangen. Ich winkte ihm kurz zu und tippte mir mit dem Zeigefinger fragend auf die Brust.
Er nickte.
Mit der Selbstverständlichkeit eines Hochschuldozenten, für den Seminararbeit in Gruppen zum Alltag gehörte, teilte ich die Anwesenden in zwei Arbeitsgruppen auf, eine Dach-Gruppe und eine Tunnel-Gruppe. Es herrschte eine konzentrierte Atmosphäre, ein einvernehmliches Gefühl ungeduldiger Schöpfungskraft. Nach gut einer Stunde rief ich alle zusammen und bat jede Gruppe, ihre Ergebnisse zu präsentieren. Siggi übernahm diese Aufgabe für die Tunnel-Gruppe und Onkel Leo für die Dach-Gruppe. Ungewöhnliche Situationen erfordern eben ungewöhnliche Maßnahmen. Nach den beiden Präsentationen sortierten wir alle Vorschläge nach Prioritäten und der praktischen Durchführbarkeit. Dies gelang überraschend schnell. Ich schrieb sie nacheinander auf das Flipchart:
›1.) Doppelte Bewachung des Gebäudes von außen in der Nacht von Samstag auf Sonntag durch vier weitere Personen (Dorst, Wilmut, Hermann, N. N.)
2.) Ausstattung von Dorst und Hermann mit Nachtsichtgeräten zur Überwachung des Dachs
3.) Aufstellung einer zusätzlichen mobilen Alarmanlage mit Bewegungsmeldern im Bereich der großen Wendeltreppe im Erdgeschoss
4.) Kontrolle aller an das Goethehaus angrenzender Keller bzgl. verdächtiger Tunnelspuren am Samstagnachmittag
5.) Installation einer Videokamera im Bereich der Wendeltreppe‹
Mehr war nicht möglich, da wir nur einen Tag zur Vorbereitung hatten. Von einer Stationierung polizeilichen Personals im Goethehaus wurde nach längerer Diskussion abgesehen, da Göschke meinte, das Risiko, den Täter unabsichtlich zu warnen, sei zu hoch. Siggi sah das anders. Da er aber auf die Schnelle kein schlüssiges Alternativkonzept entwickeln konnte, blieb uns nichts anderes übrig, als Göschkes Vorschlag mit der Videokamera den Zuschlag zu erteilen. Treffpunkt war morgen Abend um 19 Uhr im Polizeipräsidium zur Lagebesprechung, Einsatz ab Dunkelheit.
Die Moderation und die Absage meiner Verabredung mit Hanna hatten an meinen Nerven gezerrt. Kurz nach Mitternacht fiel ich völlig erschöpft ins Bett.
Ich wusste, dass Hanna eine Frühaufsteherin war und samstags immer auf den Markt ging. Meine angepeilte Ankunftszeit 8 Uhr schaffte ich nicht. Mit zwei Tüten in der Hand stand ich 20 Minuten später vor Büchlers Gartentor.
Ich klingelte. Ring-Ring. Warten. Ring-Ring.
Hannas Mutter öffnete. »Wir kaufen
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