Goetheruh
Name klang ziemlich nach diesem Rotwelsch.
»Gut«, drängte Benno, »wir müssen weitermachen. Hendrik, du wolltest etwas loswerden?«
Er blickte zu mir herüber.
»Ja, ich möchte gerne nochmals das Täterprofil durchgehen und zudem habe ich eine … Neuigkeit.« Ich erhob mich, um meinen Ausführungen mehr Nachdruck zu verleihen. »Liebe Kollegen!« Das war zwar etwas förmlich, entsprach aber durchaus meinen Empfindungen. Was ich zu sagen hatte, war von entscheidender Bedeutung für den Fortgang der Untersuchung. »Die Eckdaten des letzten Täterprofils sind Ihnen sicher in Erinnerung geblieben: Geschlecht wahrscheinlich männlich, Alter 16–30, gute Kenntnisse von Goethes Leben und Werken, hat wahrscheinlich das Abitur oder ist zumindest Gymnasiast. Schuhgröße 46, Körpergröße 1,80–1,95 Meter, handwerkliches Geschick, wahrscheinlich Übung im Umgang mit Metall, eventuell gelernter Schlosser oder Ähnliches. Unser psychologisches Profil …«, der Psychologe hob zustimmend die Hand, »… bestand aus zwei Alternativen: Entweder der Täter ist ein berechnender Verbrecher oder ein Mensch mit erheblichen psychischen Auffälligkeiten. In letzterem Fall kommen verschiedene Erkrankungen infrage, die unser Psychologe beim letzten Expertentreffen ausführlich erläutert hat. Eine motorische Verlangsamung ist wahrscheinlich. Ursachen der Krankheit können in der Kindheit liegen. Wir gehen von einem Serientäter aus, die Abstände der Taten werden immer kürzer. Über das Potenzial zur Gewalttätigkeit lässt sich wenig sagen. Das nur als kurze Zusammenfassung.«
Den Gesichtern meiner Zuhörer entnahm ich Zustimmung. Also fuhr ich fort: »Inzwischen wissen wir zusätzlich, dass der Täter gut Klavier spielt, das heißt er muss einige Jahre Unterricht gehabt haben. Weiterhin besitzt er Graffiti-Erfahrung, ihm ist bekannt, dass ich an dieser Untersuchung beteiligt bin, er kennt meine E-Mail-Adresse und auch meinen Wohnort. Wir kennen nun einige Details aus der Thüringer Hehlerszene und wissen, dass Hans Blume dort eine wichtige Rolle spielt …«
»Gespielt hat«, warf der OB ein, »jetzt ist er aus dem Verkehr gezogen!«
»Stimmt«, pflichtete ich ihm bei, »jetzt hat er ausgespielt. Wir haben nun einige Informationen mehr als bei unserem letzten Treffen, dennoch konnten wir keinen Zusammenhang zwischen dem Kunstdieb und der Hehlerszene herstellen. Seine Identität bleibt weiter unbekannt.«
Kriminalrat Göschke nickte grimmig, ohne einen Ton abzugeben.
»Parallel dazu erfuhren wir zufällig, dass seit gestern ein junger Mann namens Jens Gensing verschwunden ist.«
»Wer ist denn das?«, wollte Gärtner wissen.
»Jens Gensing ist Patient in der Psychiatrie hier in Weimar, er leidet laut seiner Ärztin an einer schweren Persönlichkeitsstörung, ist 1,83 Meter groß und hat Kenntnisse in der Metallverarbeitung. Er hat sich vor einiger Zeit unter einem bestimmten Vorwand ins Weimarer Krankenhaus eingeschlichen und somit die Möglichkeit, dort OP-Handschuhe zu stehlen. Sie verstehen – wegen des Talkums.«
Göschke unterbrach mich. »Und Sie meinen, wegen dieser zufälligen Übereinstimmungen sei dies unser Mann?«
»Herr Kriminalrat, es mag so aussehen, als seien dies alles rein zufällige Übereinstimmungen, doch für mich – und nicht nur für mich allein – sind dies exakt ineinanderpassende Teile eines Puzzles. Das Problem ist nur, dass die fehlenden Teile nicht hier auf dem Tisch liegen, um eingepasst zu werden, sondern dass wir sie erst finden müssen!«
»Was heißt hier ›nicht nur für mich allein‹?«, hakte Peter Gärtner nach.
Ich räusperte mich und wechselte einen Blick mit Benno und Siggi. »So, so!« Der Oberbürgermeister zog die Augenbrauen hoch.
»Und was denken Sie?«, fragte Göschke in Richtung des Psychologen. Das war ein entscheidender Moment.
Der Psychologe drehte sich zu mir um.
»Angenommen, dieser …«
»Jens Gensing!«
»… dieser Jens wäre wirklich der Täter, wodurch würden dann seine Zwangshandlungen gesteuert?«
»Die Ursache kennen wir noch nicht, sie liegt möglicherweise in seiner Kindheit. Vielleicht können Sie da etwas herausbekommen. Aktuell werden seine Zwangshandlungen jedenfalls dadurch gesteuert, dass er sich einbildet, die Reinkarnation Goethes zu sein.«
»Was?« Der OB schoss von seinem Stuhl hoch. »Na, das ist aber doch wirklich … etwas sehr weit hergeholt, finden Sie nicht?«
»Nein«, erwiderte ich langsam, »seine Mutter hat einen
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