Goetheruh
ich, warum ich nicht Polizist geworden war. So analytisch und geistesgegenwärtig zugleich, noch dazu in höchster Gefahr – das war einfach nicht meine Sache. Ich brauchte immer meine Zeit und vor allem eine vertraute Umgebung, um vernünftige Gedanken fassen zu können. Später erfuhr ich, dass Hermann schon auf Siggis SMS reagiert und Siggi ihn während des Eisenträgerhebelns an den richtigen Ort dirigiert hatte. Er war einfach auf Empfang geblieben, hatte das Handy in die Brusttasche gesteckt, auf diese Weise mit Hermann kommuniziert und dabei weitergehebelt.
Blume und seine Leute wurden festgenommen, lediglich einer hatte im Gewirr des alten Fabrikgeländes entkommen können. Nur unter größten Anstrengungen gelang es mir, nach fast einer Stunde, durch dieselbe Luke wieder nach unten zu steigen.
Als ich die Treppe hinunterging, hatte ich die Vision, Hanna würde mich draußen erwarten, mich als Helden begrüßen, mich trösten und mir alles verzeihen. Vor dem Turm standen jede Menge Polizeifahrzeuge und zwei Krankenwagen. Selbst ein paar Schaulustige hatten sich eingefunden. Nur Hanna war nirgends zu entdecken.
10. Vermächtnis
E
s war bereits nach 9 Uhr, sodass wir uns beeilen mussten, um rechtzeitig zur dritten Expertensitzung nach Weimar zu kommen. Siggi fuhr in Anbetracht meines Zustands sehr rücksichtsvoll. Wir redeten kaum. Alles Wissenswerte würde er während der bevorstehenden Sitzung sowieso komplett aufrollen, sodass ich die Fahrzeit zur Erholung nutzen konnte. Selbst nach dem Schuss zu fragen, kostete mich zu viel Kraft.
Kurz nach zehn betraten wir Bennos Konferenzraum. Die anderen hatten uns erwartet. Da sie in der Zwischenzeit von einer Schießerei gehört hatten, waren sie sehr beunruhigt. Siggi und ich sahen zwar beide recht mitgenommen aus, doch waren wir unverletzt und äußerlich wohlauf. Auch mein Magen und meine Nerven hatten sich inzwischen beruhigt. Benno und Onkel Leo klopften mir auf die Schulter und versicherten sich mehrmals, ob es mir gut ginge. Auch der Psychologe, Göschke und Martin Wenzel machten einen besorgten Eindruck. Die Zuwendung tat gut, erschöpft ließ ich mich auf einen Stuhl fallen.
»Gibt’s hier keinen Kaffee?«, fragte ich. Natürlich gab es Kaffee, in Thüringen gibt es immer Kaffee.
»Dann sollten wir wohl als Erstes die Ereignisse von heute Morgen rekapitulieren«, begann Benno. Der OB stimmte zu.
»Jaaa …«, übernahm Kriminalrat Göschke, »wir bekamen gestern einen Hinweis von einem unserer Informanten, dass sich dieser mit einem wichtigen Hehlerboss treffen wolle. Daraufhin hat die Sonderkommission JWG beschlossen, dieses Treffen zu überwachen und den Hehlerboss festzunehmen. Dabei mussten wir allerdings darauf achten, dass unser Informant nicht verraten wurde und zu Schaden kam.«
»Oh«, rief Peter Gärtner, »riskant!«
»Stimmt«, bestätigte Göschke, »aber dieses Risiko mussten wir eingehen, um weiterzukommen, wir konnten nicht noch länger warten.«
»Und das Risiko hat sich gelohnt«, ergänzte Siggi.
»Genau so ist es«, fuhr die Fagottstimme des Kriminalrats schnarrend fort, »wir haben ihn heute Morgen in Großkochberg in flagranti bei der Übergabe gefälschter Gemälde erwischt.«
»Was für Gemälde?«
»An wen hat er sie übergeben?«
»Was war denn mit der Schießerei?«
»Moment, Moment, meine Herren, alles der Reihe nach. Dorst, bitte übernehmen Sie!«
»Am besten zeige ich Ihnen gleich ein paar Bilder von diesem Treffen«, sagte Siggi.
Der Digitalfotografie sei Dank. Siggi schaltete den Projektor ein und rief vom PC das erste Bild ab. Das alte Fabrikgelände und der Ort des Treffens war zu sehen. Siggi gab ein paar kurze Erklärungen zu den Örtlichkeiten. Das zweite Foto zeigte die Männer an dem weißen Wagen, dann folgten einige Aufnahmen der gefälschten Gemälde. Goethes Gartenhaus war deutlich zu erkennen. Schließlich tauchte der Boss auf der Leinwand auf, seinen schwarzen Hut tief ins Gesicht gezogen. Noch war er nicht zu erkennen.
»Wer ist denn das?«
»Das ist der Boss«, antwortete Siggi, »der unangefochtene Chef der Hehlerbande. Und jetzt zeige ich Ihnen sein Gesicht.«
Die Spannung war spürbar. Siggi drückte eine Taste. Ein klares, deutliches Konterfei von Hans Blume füllte den Raum.
Peter Gärtner ließ seinen Stift fallen und stand abrupt auf. »Das … das ist doch nicht möglich.«
»Doch, Herr Oberbürgermeister, leider ist das der Boss der Thüringer Hehlerszene, Hans
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