Götter der Lust
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass er näher kam, wenn auch nicht nahe genug, um sie zu berühren.
Offenbar hatte sie ihn mit ihrem kleinen Wutausbruch völlig aus dem Konzept gebracht.
«Ich nehme an, den Dachboden hast du schon abgesucht.» Auf seine Bestätigung hin überblätterte sie die entsprechende Seite und schlug den Plan vom Erdgeschoss auf. «Jetzt fällt mir wieder ein, dass der Eigentümer etwas von einem Geheimgang erzählt hat.»
«Zusätzlich zum Priesterloch?» Myles beugte sich vor, und seine Schulter berührte ihre.
«Ich glaube schon.» Abby trat zur Seite, um ein wenig Abstand zu ihm zu schaffen, bevor sie ihm ins Gesicht sah. «Was hat deine Großmutter dazu gesagt?»
«Nichts, womit etwas anzufangen gewesen wäre», erwiderte Myles achselzuckend.
«Erzähl’s mir trotzdem.»
«Ich habe es aufgeschrieben, bevor ich gemerkt habe, was für ein Blödsinn es war.» Er klopfte seine Taschen ab. «Ichhabe mein Notizbuch wohl oben gelassen.» Er streckte ihr die Hand hin. «Kommst du mit?»
Abby zog eine Augenbraue hoch. «Du bist groß genug, um den Weg allein zu finden.»
Er verzog das Gesicht. «Ich habe aber Angst, du könntest weglaufen.»
«Was? Weg von der Hand, die mich füttert?» Sie lächelte ein zuckersüßes Lächeln. «Was mich natürlich nicht davon abhält, diese Hand zu beißen.»
«Oder zu lecken», fügte Myles mit einem anzüglichen Blick hinzu.
Abby verdrehte die Augen. «Du bist unverbesserlich.»
Er grinste. «Und das gefällt dir.» Er streckte ihr erneut die Hand hin.
Sie ging zu ihm und griff danach. Seine feste Berührung beruhigte sie. Mit der anderen Hand zog er die Vorhangkordel an ihrer Taille auf, sodass ihr Kleid bis auf die Knöchel fiel. «So ist es besser.»
Sie blickte fragend zu ihm auf. «Besser für wen?»
«Sogar für mich gibt es Grenzen. Wenn ich noch länger deine Beine ansehen muss, kann ich für mein Handeln nicht mehr verantwortlich gemacht werden.»
Abby schnaubte verächtlich. «Doch, kannst du.»
Er zog sie in seine Arme. «Du ahnst anscheinend gar nicht, welche Wirkung du auf mich hast?»
Ihre Finger glitten an seiner Brust hoch bis zu der Stelle, wo sein Hemd offen stand. «Oh doch, ich kann es mir ganz gut vorstellen.»
Er räusperte sich. «Ich hole jetzt mein Notizbuch.»
Sie zog sich von ihm zurück. «Und ich mache uns etwas zu essen.» Sie blickte sich in der Küche um. «Irgendwie.»
«Irgendwie?» Myles verhinderte ihre Antwort mit erhobenerHand. «Nein, ich will es lieber nicht wissen.» Dann verschwand er im Flur.
Abby starrte ihm nach. Wie seltsam – der Raum fühlte sich ohne ihn viel leerer an, und das hatte nichts mit seiner Größe oder seinen breiten Schultern zu tun. Merkwürdig.
Ein wenig Brot und Käse war noch da, doch Abby hatte beides satt. Dann fand sie ein paar Kirschen in einer Schale. Auf einer Seite der Küche stand eine schmale Tür offen, die aussah, als führe sie in eine begehbare Speisekammer. Hatten sie so etwas damals – äh, heute – schon?
Sie öffnete die Tür und schreckte augenblicklich zurück, die Hand vor Nase und Mund haltend. Dann stieß sie die Hintertür auf und atmete tief durch. Begierig sog sie die frische Luft ein. Wie konnte jemand diese Vögel essen? Es stank, als hingen sie dort schon seit Monaten.
Sie taumelte ein paar Schritte hinaus und setzte sich auf eine steinerne Bank. Wie sollte sie in einer Zeit leben, in der alles so … so unzivilisiert war? Sie schwor sich, Vegetarierin zu werden.
Sie blickte über den großen sandigen Hof hinweg auf eine schlichte Rasenfläche und dahinter auf einen grünenden Garten. Plötzlich ging ein Ruck durch sie. Gemüse! Ein Teil davon sollte ja wohl schon essbar sein.
Sie schlenderte durch die Beete. Früher Kopfsalat, ein paar Kräuter. Wenn sie jetzt noch Tomaten finden könnte … obwohl sie befürchtete, dass die so zeitig im Jahr noch nicht reif waren, aber vielleicht gab es ja eine frühe Sorte.
Sie zog einen der kleinen Salatköpfe heraus und wollte wieder zum Haus gehen.
Myles kam durch die Tür gestürmt und blieb stehen, als er sie sah. Er atmete schwer und sah ihr zu, wie sie näher kam.
«Alles in Ordnung mit dir?»
«Ich dachte schon, du wärst verschwunden, zurück in deine eigene Zeit.» Er versuchte, die Verzweiflung in seinem Gesicht hinter einer Maske der Heiterkeit zu verbergen.
Sie aber ließ sich nicht täuschen. «Damit kann ich leider nicht dienen», entgegnete sie fröhlich. «Aber dafür habe
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