Götter der Nacht
Atem an.
Bowbaq zuckte einfach nur zusammen, doch der Geist fuhr wie von der Tarantel gestochen aus seinem Körper. Sofort streckte der Riese seine gewaltigen Pranken nach ihm
aus. »Hier geblieben!«, brummte er wütend wie ein Bär, während sich der Geist in Sicherheit brachte. »Komm her und kämpfe!«
Léti traute ihren Ohren nicht. War das etwa der friedliebende, sanftmütige Bowbaq, der diese Drohungen ausstieß?
Der Geist ignorierte die Aufforderung und verschwand mit einem hämischen Lachen im Boden. Er ahnte nicht, dass er damit geradewegs in ein zweites Feuer flog.
Bowbaq rieb sich die Schläfen. Léti hielt sich nicht lange mit Erklärungen auf und stürzte zur Tür, um sie zu öffnen. Schlagartig fiel ihr ein, dass Hulsidor sie hinter ihnen verschlossen hatte. So rannte sie stattdessen zur Treppe und sah mit Entsetzen, dass der Durchgang blockiert war.
Deswegen schrie der Bibliothekar ununterbrochen um Hilfe. Sie beugte sich zu dem Spalt hinunter und erspähte Yans leblose Gestalt auf den Stufen.
»Ist er verletzt?«, rief sie erschrocken.
»Nein, nur ohnmächtig! Helft uns!«, brachte Hulsidor hustend hervor.
Der Rauch reizte ihre Augen und kratzte im Hals. Die Hitze wurde allmählich unerträglich. Wenn es um die oberen Stockwerke auch so schlimm stand, würde bald der ganze Turm über ihnen zusammenbrechen.
»Wo sind die anderen?«, fragte sie voller Panik.
»Weiter unten! Helft uns, schnell!«
Eine schwere Hand legte sich auf Létis Schulter und schob sie beiseite. Bowbaq war wieder so weit bei Sinnen, dass er handeln konnte. Er hielt seinen Streitkolben in der Hand und wusste genau, was er zu tun hatte.
»Tretet zurück«, sagte er nur.
Hulsidor stieg zwei Treppenstufen hinunter. Nach dem ersten Schlag wich er weitere vier zurück. Beim fünften
Schlag war der Spalt so groß, dass selbst Bowbaq hindurchgepasst hätte.
Der Rominer zwängte sich durch den zertrümmerten Schrank und rannte ohne ein Wort des Danks zur Tür. Er entriegelte den Ausgang und stürzte nach draußen, gefolgt von der Katze Frosch, die sich ebenfalls wenig erkenntlich zeigte.
Léti hechtete ins Treppenhaus und hob Yan so weit hoch, dass Bowbaq ihn zu fassen bekam. Aus den unteren Stockwerken drang das Getrappel von Füßen, das von den Steinmauern widerhallte. Léti kletterte wieder nach oben und wartete voller Angst auf die fehlenden Gefährten.
Aber zunächst tauchten nur Lana und Rey auf. Das Hindernis und die lodernden Flammen überraschten sie zwar, vermochten sie jedoch kaum zu erschüttern. Sie flohen vor einer viel bedrohlicheren Gefahr.
»Es verfolgt uns«, rief Rey und postierte sich mit gezogenem Rapier vor der Öffnung. »Es ist Corenn und Grigán dicht auf den Fersen. Und es ist gigantisch.«
Léti suchte hastig nach ihrer Waffe und ging neben dem Schauspieler in Stellung. Doch der Schrank, der quer vor der Treppe lag, behinderte jedes Manöver.
»So geht das nicht«, stellte Rey fest. »Wir kommen uns gegenseitig in die Quere.«
»Lasst mich das machen«, meldete sich Bowbaq auf einmal zu Wort. »Ich übernehme das.«
Rey trat zurück. Bowbaq beugte sich durch die Öffnung und schloss die Augen. Er lauschte auf jedes noch so kleine Geräusch im Treppenhaus und nahm seine ganze Wut zusammen.
Er war ein Erjak. Als ein fremder Geist versucht hatte, Kontakt zu ihm aufzunehmen, hatte er es zugelassen. Einen
Augenblick später hatte ihn dieser Geist nicht nur besucht, er hatte von ihm Besitz ergriffen. Da war es bereits zu spät gewesen. Arglos war Bowbaq in die Macht eines Gespensts geraten.
Hilflos hatte er jede der Bewegungen, die er gegen seinen Willen ausführte, miterleben müssen. Er hatte Feuer gelegt und den Schrank vor die Treppe gekippt. Innerlich hatte er sich mit aller Kraft dagegen aufgelehnt. Vergeblich.
»Waren die anderen denn so weit hinter Euch?«, fragte Léti nervös.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Rey nach kurzem Zögern. »Kann sein.«
Bowbaq hatte diese Marter wehrlos erdulden müssen und unendlich gelitten. Nicht einmal die schrecklichen Erlebnisse der vergangenen Dekaden hatten ihn so sehr erschüttert. Nicht einmal das Schicksal des Gyolendelfins hatte ihn so empört.
»Yan kommt zu sich«, sagte Lana.
»Ich glaube, ich höre etwas«, sagte Rey. »Sie kommen.«
Auch Bowbaq hatte sie vernommen. Er schwang den Streitkolben hoch über den Kopf und holte tief Luft.
»Sie sind gleich hier. Nichts wie weg!«, rief Rey. »Der Turm kann jeden Moment einstürzen.«
Da
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