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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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Worte auf das Deckblatt.
    »Protokoll der Versammlungen des Ständigen Rats von Kaul«, las sie vor. »Aufgezeichnet von der Mutter der Tradition. Ihr werdet mir zustimmen, dass der Text nur wenig mit einem privaten Tagebuch gemein hat.«
    Feindselig zischend entriss ihr die Sirene das Heft. Mit angewiderter Miene überflog sie es ein zweites Mal. Ein ungeschriebenes Gesetz der Menschenwelt zwang sie zu einem unvoreingenommenen Urteil.
    ›Nun gut‹, sagte sie nach einer Weile. ›Ihr habt Euch an den Pakt gehalten, den Ihr mit mir geschlossen habt. Mit dem größten Bedauern überlasse ich Euch meinen Schwestern!‹
    Plötzlich machte Lana einen Satz nach vorn und riss ihr das Blatt aus den Händen. Eine solche Kühnheit hätte sie sich selbst nicht zugetraut, doch ihr Wille war stärker als ihre Angst. Sie wollte die Antwort. Unbedingt.
    Die Sirenen stürzten sich auf sie, aber Grigáns und Reys Klingen waren schneller. Verschwunden waren das Lächeln, die höflichen Floskeln und die liebenswürdigen Gesichter: Den Erben blitzten nur noch spitze Krallen und scharfe Fangzähne entgegen.
    »Hat irgendjemand eine Idee, wie wir hier rauskommen?«, keuchte Rey.

    Lana rief mehrmals Eurydis’ Namen, aber das beeindruckte die vernunftbegabten Sirenen nur wenig. Die Geister taten sich schnell zu gezielten Angriffen zusammen, und die Erben konnten sie nur mit großer Mühe abwehren. Bei jedem Angriff trugen sie Verletzungen davon. Corenn sah mit Entsetzen, dass sich Grigán kaum noch auf den Beinen halten konnte. Seine Krankheit lag noch nicht lange zurück, und der Krieger war am Ende seiner Kräfte.
    »Wir kommen nicht durch!«, rief Rey, obwohl das längst offensichtlich war. »Wir müssen uns irgendwo verschanzen!«
    Er glaubte selbst nicht so recht an diesen Vorschlag. Sein Hemd und der Umhang, die noch von der ersten Verletzung blutgetränkt waren, hingen nun in Fetzen herab. Wenn es so weiterging, hatten sie nur noch wenige Augenblicke zu leben. Und das so kurz vor dem Ziel …
    Plötzlich stoben die Sirenen in Panik auseinander, und einige flüchteten in die Bibliothek von Romerij. Die Erben versuchten zu erkennen, woher die unerwartete Hilfe kam. Entsetzt stellten sie fest, dass stattdessen neue Gefahr drohte.
    Brandgeruch erfüllte den Saal.
    Sie zögerten nicht lang und nutzten die Verwirrung zur Flucht. Da sich die Front der Sirenen geteilt hatte, ließen sich ihre Gegner leichter zur Seite stoßen. Im Treppenhaus wütete ein Feuer. Die Erben hatten keine Zeit, sich darüber zu wundern, wie in einer solchen Tiefe ein Brand entstehen konnte. In einem noch verschont gebliebenen Winkel des Treppenhauses drückten sie sich an dem Feuer vorbei und hetzten nach oben, so schnell sie konnten.
    Aus dem Stockwerk, das sie soeben verlassen hatten, drang ein ohrenbetäubendes Krachen, gefolgt von einem
Kreischen, das ihnen durch Mark und Bein ging. Die Erben sahen sich erschrocken an: Das Feuer hatte den Schattenfresser in Zorn versetzt.
     
     
     
    Yan und Hulsidor hieben auf den Schrank ein, der den Ausgang versperrte, doch es nützte nichts. Er ließ sich nicht anheben, und ihre Klingen hinterließen in dem massiven Holz nur kleine Kratzer. Sie hätten nicht nur ein Beil gebraucht, sondern auch genügend Platz, um richtig ausholen zu können. Es war aussichtslos.
    Yan hatte Angst um Léti und Bowbaq. Es machte ihm Sorgen, dass er nichts von ihnen hörte. Hatten sie fliehen müssen? Waren sie verwundet? Oder Schlimmeres?
    Er glaubte nicht an einen Verrat des Riesen. Ganz sicher gab es dafür eine logische Erklärung. Hulsidor hatte in dem dichten Rauch einfach nicht richtig gesehen. Abgesehen davon hatten sie gerade ein viel größeres Problem. Alles Weitere würde sich später klären - oder auch nie.
    Vor Anstrengung und Hitze lief beiden der Schweiß in Strömen herab. Aber sie verausgabten sich vergebens. Auf diese Weise kamen sie nie und nimmer voran.
    Da hatte Yan plötzlich eine Idee. Auf seine Anweisung hin trat der Bibliothekar halb verärgert, halb neugierig zurück. Dann entfesselte Yan seinen Willen und richtete ihn auf den Schrank.
    Die magische Kraft zersplitterte das Holz, und ein zwei Fuß langer Riss tat sich auf. Hulsidor schrie überrascht auf und wich respektvoll vor Yan zurück.
    Der junge Mann brauchte einige Augenblicke, um sich zu erholen. Die Reglosigkeit hatte ihn viel heftiger erwischt als erwartet. Es ist leichter, etwas zu zerstören, als etwas zu erbauen,
hatte Corenn gesagt. Das schon,

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