Götter der Nacht
aber Holz hatte eigentlich nur wenig Absorbium.
Er nahm all seine Konzentration zusammen und versuchte, das innerste Wesen des Möbelstücks zu erkennen. Der Schrank stellte sich ihm in Form einer Kugel dar, die mit Sand angefüllt war - dem Erdbestandteil -, während das Feuer, der Wind und das Wasser nur in sehr geringen Mengen vorhanden waren. Ein einfacher fester Gegenstand. Unbeseelt. Unbelebt. Altersmorsch.
Die Kugel selbst versinnbildlichte die Empfänglichkeit des Gegenstands für die Magie. Yan hätte nicht zu sagen vermocht, aus welchem Stoff sie bestand, denn sie war nur eine geistige Vorstellung. Sie erschien ihm einfach als gläserner Ball.
Übung macht den Meister, pflegte Corenn zu sagen. Und die Übung hatte ihn gelehrt, dass sich ein Gegenstand umso weniger für Magie empfänglich zeigte, je dicker die Wand der Kugel war. In diesem Fall war sie dicker als alles, was er bislang gesehen hatte.
Aber da er keinen anderen Ausweg wusste, beschloss er, einen zweiten Versuch zu wagen. Er konzentrierte sich lange auf die gesprungene Stelle und ließ seinen Willen dabei bis an die Grenze des Erträglichen anschwellen. Dann schleuderte er die geballte Kraft, die er aus seinem Körper geschöpft hatte, gegen das Holz.
Mit einem Knall zersprang eines der Bretter in tausend Splitter, die auf sie einprasselten. Doch die anderen hatten sich keinen Deut bewegt. Der Spalt war immer noch zu klein.
Die Reglosigkeit, die Yan überfiel, war entsetzlich. Trotz der Hitze des Feuers wurde ihm eiskalt, und Ohnmacht übermannte ihn.
»Hilfe!«, brüllte Hulsidor verzweifelt durch den Spalt. Der Rominer verfluchte den Schreiner, der den Schrank aus daumendicken Brettern gebaut hatte.
Irgendetwas kroch hinter ihnen die Treppe hoch, doch Lana drehte sich nicht um. So schnell war sie noch nie in ihrem Leben gerannt. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass das gespenstische Fauchen immer näher kam. Es schien aus einem fürchterlichen Schlund zu kommen. Und es lechzte nach Blut.
»Ohne mich wärt ihr viel schneller«, keuchte Corenn. »Wartet nicht auf mich.«
Grigán fluchte und riss Reys Laterne an sich. Er wartete, bis Corenn an ihm vorbei war, und schleuderte die Lampe dann die Treppe hinunter, um ein kleines Feuer zu entfachen. Niemand glaubte wirklich, dass sie ihren Verfolger damit aufhalten konnten.
»Lauft, Ihr beiden!«, befahl er. »Ich bleibe bei Corenn.«
Lana protestierte, doch Rey zog sie weiter. Schnell gewannen sie einen Vorsprung und verschwanden schließlich ganz aus dem Blickfeld ihrer Freunde.
»Lauft, Grigán«, bat Corenn. »Ich kann nicht mehr. Lasst mich zurück und bewahrt ein lebendiges Andenken an mich.«
»Was redet Ihr da? Mir geht es auch nicht anders. Und außerdem lasse ich Euch auf keinen Fall im Stich, Corenn«, keuchte er. Ich lasse nie wieder jemanden im Stich, nie wieder, sagte er sich.
Sie hatten nicht einmal die halbe Strecke geschafft. Unter ihnen ließ der Herrscher der Geister seine Krallen über den uralten Stein kratzen. Er kam immer näher.
Seltsamerweise war es eher ihr Überlebensinstinkt als das Prasseln des Feuers und die Rufe Hulsidors, der Léti wieder zu Bewusstsein brachte. Sie war so klug, sich langsam zu bewegen, um sich nicht zu verraten. Der Anblick, der sich ihr bot, erschütterte sie.
Das ganze Stockwerk stand in Flammen. Wäre die Mitte des Raums nicht leer gewesen, hätte sich das Feuer auch dort ausgebreitet, und Léti wäre längst tot. Aus den oberen Geschossen drang lautes Knacken - sie mussten ebenfalls betroffen sein. Worauf warteten die Rominer noch? Wollten sie das Gebäude nicht retten?
Da fielen ihr die jüngsten Geschehnisse wieder ein, und sie spähte auf der Suche nach Bowbaq in den Rauch. Nicht weit von ihr tanzte der Riese inmitten der Flammen einen sonderbaren Reigen. Er war immer noch besessen. Als Erstes musste sie versuchen, ihn wieder zur Vernunft zu bringen.
Léti suchte erst gar nicht nach ihrem Rapier, sondern schnappte sich ein rot glimmendes Holzscheit. Dann pirschte sie sich so vorsichtig wie möglich an ihren Freund heran.
Es mutete mehr als seltsam an, den bärtigen, rußverschmierten Riesen wie einen Trunkenbold herumtorkeln zu sehen. Seine ungezügelte Kraft war furchteinflößend, und das erst recht, wenn man wusste, dass er von einem bösen Geist besessen war.
Als Léti nah genug war, rannte sie die letzten Schritte auf ihn zu. Sie presste das glühende Scheit an sein Bein, sprang rasch zurück und hielt den
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