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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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keinen Fall verderben, wussten aber nicht, wie sie dem anderen ihre Gefühle mitteilen sollten.
    Léti spielte gedankenverloren mit dem Medaillon, das Yan ihr geschenkt hatte, und der junge Mann zog seinen Talisman, die Drei-Königinnen-Münze, aus der Tasche und drehte sie zwischen den Fingern.
    »Zeigst du mir ein Kunststück?«, bat sie und zeigte auf die Münze.
    Glücklich darüber, ihr einen Wunsch erfüllen zu können, legte Yan das Geldstück auf den Tisch und richtete seinen Willen darauf. Sogleich erhob es sich in die Luft und drehte sich langsam um die eigene Achse.
    Da Léti Gefallen daran zu finden schien, ließ Yan erst einen Teller, dann ein Messer und eine Gabel, als Nächstes
eine Schüssel und schließlich einen halbvollen Krug durch die Luft schweben. Bald hing fast das gesamte Geschirr, in dem sich das Licht der Öllampe spiegelte, einen Fuß über dem Tisch in der Luft. Léti war entzückt.
    »Das ist wunderschön«, sagte sie mit strahlenden Augen.
    So wie du, dachte Yan. Na los, sag es ihr, sprach er sich selbst Mut zu. Sag es ihr. Bitte sie um ihre Hand. Jetzt.
    »Was ist denn hier los?!«, rief jemand hinter ihm.
    Yan wurde abrupt aus der Konzentration gerissen, und das Geschirr krachte scheppernd auf den Holztisch, bevor es zu Boden fiel und zerbrach. Der Wirt stand in der Tür zur Küche und machte quillenrunde Augen. Nur Usul wusste, was ihm durch den Kopf ging, als er sein Geschirr durch die Luft fliegen sah.
    »Es tut mir leid, ich muss gegen den Tisch gestoßen sein«, stammelte Yan und errötete bis über beide Ohren. »Ich komme natürlich für den Schaden auf.«
    Der Mann nickte mit offenem Mund und starrte auf die Scherben. Léti musste so sehr lachen, dass sie kaum noch Luft bekam.
    Yan half dem Mann beim Zusammenfegen des zerbrochenen Geschirrs, und Léti ging ihnen zur Hand. Sie grinste ihrem Freund schelmisch zu. Es war das gleiche verschwörerische Grinsen, das sie als Kinder verbunden hatte. Dennoch empfand Yan eine tiefe Traurigkeit. Offenbar würden nur Usuls düstere Prophezeiungen in Erfüllung gehen.
     
     
     
    Jemand klopfte leise an Lanas Tür. Neugierig öffnete sie einen Spalt. Vor ihr stand Rey mit einem Lächeln auf den Lippen und einer Flasche Grünwein in der Hand.

    »Die eurydische Lehre predigt Gastfreundschaft«, sagte er unverfroren. »Darf ich eintreten?«
    Mit einer Mischung aus Belustigung und Ärger trat Lana zur Seite, um ihn hereinzulassen. Sie war nicht so naiv, wie Rey sich einreden mochte. Es war nicht zu übersehen, dass er all seinen Charme aufbot, um sie zu verführen.
    Sie betrachtete den schlanken Wuchs des Loreliers, seine ebenmäßigen Züge und die Art, wie er sie ansah. Gleichzeitig dachte sie an seinen Mut, seine Fürsorge und seinen unerschütterlichen Optimismus, und da wurde ihr klar, dass es bereits um sie geschehen war. Rey gefiel ihr. Fortan würde sie ihre Wachsamkeit verdoppeln müssen.
    »Maz trinken keinen Alkohol, Reyan.« Sie zeigte auf die Flasche.
    »Sie war ohnehin nur für mich gedacht«, sagte er ungerührt. »Das war ein Scherz«, fügte er hinzu, als seine Freundin errötete. »Wie kommt Ihr mit dem Tagebuch voran?«
    »Nicht besonders gut, fürchte ich.« Sie war froh, dass er das Thema wechselte. »Wollt Ihr mehr darüber wissen?«
    »Mit Vergnügen.«
    Lana holte ihre Notizen hervor, obwohl sie genau wusste, dass Rey die Entzifferung der Geheimschrift so egal war wie der pelzige Hintern eines Margolins.
    »Seht mal hier«, sagte sie und zeigte auf die Stelle des Tagebuchs, an der die Einleitung endete. »Der folgende Text besteht zu einem Großteil aus Wörtern mit weniger als vier Buchstaben. Ungefähr jedes fünfte Wort besteht nur aus einem einzigen Buchstaben. Und kein Wort stammt aus einer der Sprachen, die in den Oberen Königreichen gesprochen werden.«
    »Ihr erklärt das sehr gut«, sagte Rey und sah Lana unverwandt in die Augen.

    »Ich hatte gehofft, andere lesbare Passagen zu finden«, fuhr sie fort. »Mehrere Seiten klebten zusammen, weil sie nass geworden waren. Ich habe mein Bestes getan, um sie zu retten, doch es war zu spät. Seht selbst.«
    Widerstrebend senkte Rey den Blick auf das Buch. Auf der aufgeschlagenen Seite war die Tinte fast vollständig verwischt, und die Buchstaben waren nicht mehr zu erkennen. Auf dem gewellten Pergament waren sie nur noch als blasse, traurige Flecken zu erahnen.
    Rey nahm das Tagebuch in die Hand und blätterte vorsichtig darin herum. Der gesamte mittlere Teil war

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