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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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an diesem Ort vielleicht eine Versammlung abhalten und uns im Licht unserer Laternen auf den nackten Felsboden kauern?
    Aber Nol blieb nicht stehen, sondern drang immer tiefer in die Höhle vor und bog schließlich in einen schmalen Gang in der Felswand ein, der in einer verborgenen Nische begann und in sanftem Gefälle zu einem unterirdischen See von mehr als hundert Schritten Durchmesser hinabführte.
    Mittlerweile war den Gesandten nicht mehr zum Scherzen zumute. Allen war klar, dass unsere Eskorten uns hier nicht mehr finden würden. Nol führte uns immer tiefer und tiefer unter die Erde. Unser Abenteuer nahm immer unwirklichere Züge an,
und wir konnten nun nicht mehr darüber lachen. Dabei war bislang nichts Ungewöhnliches geschehen. Das stand uns erst noch bevor.
    Nol führte uns auf einen schmalen Uferweg, der sich links am See entlangschlängelte und am Fuß einer Felswand endete. In der Wand klaffte ein Spalt. Er vergewisserte sich, dass ihm alle folgten, und verschwand in dem engen Durchgang.
    Auch ich zwängte mich zwischen Moboq und Rafa Derkel aus Griteh in den Felsspalt und fragte mich, wie es dahinter wohl weiterging. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, denn die Öffnung verbreiterte sich zu einem Gang, und wir gelangten in eine weitere Höhle mit hoher Decke.
    Nol bedeutete uns zu warten, während er allein in die Höhle vordrang und durch einen kleinen Teich in der Mitte watete. Aus dem Salzgeruch und dem entfernten Rauschen der Wellen schloss ich, dass das Meer nicht weit war - vermutlich am Fuße des Abgrunds, an dessen Rand Nol nun stand.
    Ich beschloss, mir selbst ein Bild zu machen und ging in Begleitung von Moboq und Vanamel auf Nol zu. Unsere Anwesenheit schien den Seltsamen zu stören. Er wirkte jedoch nicht verärgert, sondern eher besorgt. Jedenfalls richtete er das Wort an uns, was bislang nur selten vorgekommen war.
    »Was auch geschieht, habt keine Angst«, sagte er. »Bleibt still und bewegt Euch nicht. Schreitet auf keinen Fall ein. Für Euch besteht keine Gefahr.«
    Anstatt mir die Angst zu nehmen, bewirkte seine Warnung das Gegenteil. Ich beugte mich über den Abgrund und versuchte vergeblich, etwas zu erkennen. Ich dachte kurz daran, meine Laterne fallen zu lassen, um seine Tiefe zu ergründen, doch ich wollte auf keinen Fall auf ihr tröstendes Licht verzichten.
    Einer nach dem anderen gesellten sich die Gesandten zu uns. Nol bat uns, zur Seite zu treten und an der Höhlenwand zu
warten. Dann erhob er abermals die Stimme, doch diesmal waren seine Worte nicht an uns gerichtet. Er sprach in einer unbekannten Sprache in die leere Höhle hinein. Unaufhörlich wiederholte er dieselben Laute und starrte in die Finsternis, als rufe er jemanden - oder etwas.
    Und dieses Etwas folgte seinem Ruf.
    Etwas Lebendiges kletterte den Abgrund empor. Wir hörten es, lange bevor wir es sahen, und ich fürchtete, seinen Anblick nicht ertragen zu können, so grauenvoll waren die Geräusche, die es machte. Erst schien sich ein gewaltiger Körper unter Gurgeln und Rasseln aus dem Wasser zu hieven, was ungefähr so klang, als holte ein Kriegsschiff seinen Anker ein. Als Nächstes ertönte ein Schnaufen, zehnmal lauter als das eines wilden Aurochs. Dann war das Kratzen von riesigen Krallen auf der Felswand der Schlucht zu hören, begleitet von Ächzen und Stöhnen und dem Geräusch von Wasser, das an einem Körper herunterrann.
    Trotz Nols Warnung griff Ssa aus Jezeba nach seinem Bogen und spannte einen Pfeil in die Sehne. Nol bemerkte es und bedeutete ihm heftig, die Waffe zu senken. Als der Jez, dem die Panik ins Gesicht geschrieben stand, nicht gehorchte, richtete Nol seinen Blick auf den Bogen, und dieser brach entzwei. Vaz presste sich daraufhin an die Wand und rührte sich nicht mehr. Seine Angst war in nacktes Grauen umgeschlagen.
    Ehrlich gesagt erging es mir und meinen Gefährten nicht viel besser. Wir spähten in die Finsternis und harrten des Augenblicks, in dem sich das Ungeheuer zeigen würde. Und dann war es da.
    Zunächst sahen wir eine gewaltige Hand oder besser gesagt, eine Pranke, die sich über den Rand des Abgrunds schob und sich am Fels festklammerte. Die Haut des Untiers war ledrig und mit bläulich schimmernden Schuppen besetzt. Anstelle von
Fingern hatte es vier Krallen in der Größe von Eispickeln. Als Nächstes war ein Arm zu sehen, lang wie ein Mensch und dick wie der Stamm eines Blattbaums. Schließlich kam der Kopf der Kreatur in Sicht.
    Wir hielten die Luft an

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