Götter der Nacht
beschädigt. Mehr als drei Viertel von Maz Achems Bericht waren für immer verloren. Nur die ersten und letzten Seiten, die der feste Ledereinband vor der Feuchtigkeit geschützt hatte, waren mehr oder minder unversehrt.
»Wir müssen Corenn Bescheid geben«, sagte er mit plötzlichem Ernst. »Und Grigán.«
»Noch nicht, Rey«, widersprach Lana. »Würden sich unsere Pläne dadurch ändern? Nein. Ich habe mich bereits damit abgefunden. Es reicht, wenn die anderen später davon erfahren.«
»Aber … Warum sagen wir es ihnen nicht jetzt gleich? Wenn Grigán von unserem kleinen Geheimnis erfährt, wird er mir die Schuld daran geben!«
»Wir dürfen ihnen nicht die Hoffnung rauben, Reyan. Und sei es nur um Létis willen. Sie hat sich in große Gefahr begeben, um das Tagebuch zu retten. Rey, ich möchte nicht, dass die anderen es erfahren, bevor ich nicht wenigstens den verbliebenen Text entziffert habe«, sagte sie fest.
Nachdenklich nickte er, doch er war immer noch unschlüssig, ob er ihr recht geben sollte. Das mit der Hoffnung schien ihm eine versponnene Idee zu sein.
»Wer die Wahrheit verschweigt, lügt aus Höflichkeit«, sagte er schließlich einlenkend. »Aber warum habt Ihr mir davon erzählt?«
Lana errötete erneut und wich dem Blick des Loreliers aus. Sie suchte nach einer harmlosen Antwort, fand keine und ignorierte die Frage schließlich. Ausnahmsweise war Rey so taktvoll, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Er vertiefte sich in die Lektüre der verschlüsselten Seiten.
»Wenn Achem den Text zuerst niedergeschrieben und ihn dann verschlüsselt in das Tagebuch übertragen hat, kommen wir vermutlich nie dahinter, welche Geheimschrift er verwendet hat«, sagte er nach einigem Nachdenken. »Hat er den Text aber direkt in das Tagebuch geschrieben, macht das die Sache leichter.«
Lana lauschte Rey voller Bewunderung. Obwohl sie seit zwei Tagen über der Niederschrift ihres Urahnen brütete, war es ihr nicht in den Sinn gekommen, sich an seine Stelle zu versetzen. Sie hielt sich für klug oder zumindest einigermaßen aufgeweckt: Rey hingegen war schlau.
»Wenn wir davon ausgehen, dass er direkt in das Tagebuch geschrieben hat«, fuhr Rey fort, »ist es nutzlos, nach einem komplizierten Schlüssel mit Ziffern oder vertauschten Buchstaben zu suchen. In diesem Fall muss der Schlüssel so beschaffen sein, dass Achem den Text in einem Zug niederschreiben konnte. Mal sehen … Wie wäre ich das Ganze angegangen?«
Noch nie hatte sie Rey so ernsthaft erlebt. Sein plötzliches Interesse an Achems Tagebuch hatte ihn sogar die Anwesenheit seiner Freundin vergessen lassen. Er sprach nur laut vor sich hin, weil ihm das beim Denken half, und nicht, um ihr seine Vorgehensweise zu erklären. Lana entdeckte eine bislang unbekannte Seite an dem Schauspieler.
Er mochte sich zwar draufgängerisch, unbekümmert, bisweilen unverschämt und häufig sarkastisch geben, doch er konnte auch ernsthaft und respektvoll sein und schätzte ganz offenkundig die geistige Herausforderung. Nun war sie überzeugt davon, ihm die eurydischen Tugenden nahe bringen zu können. Der Gedanke erfüllte sie mit hoffnungsvoller Freude.
Versunken starrte Rey auf eine der Seiten, die mit unverständlichen Wörtern bedeckt waren. Bald war er sicher, dass es sich nicht um Silben handeln konnte, jedenfalls nicht, wenn man davon ausging, dass der Text auf Itharisch verfasst war. Folglich war es sinnlos, die Buchstabengruppen auf die eine oder andere Weise miteinander kombinieren zu wollen.
Als er die Buchstaben genauer betrachtete, fiel ihm auf, dass sie einzeln niedergeschrieben worden waren. Keiner war mit dem nächsten verbunden, was darauf hinwies, dass Achem die Feder nach jedem Buchstaben abgesetzt hatte. Der Maz hatte jedes Wort in einzelne Buchstaben zerlegt. Da Rey ein System mit vertauschten Buchstaben bereits verworfen hatte, blieb zu hoffen, dass die Buchstaben selbst unverschlüsselt waren. Hatte Achem die Wörter über mehrere Zeilen verteilt? Vielleicht sogar über eine ganz Seite oder mehrere?
Von dieser Überlegung angestachelt, verband Rey den ersten Buchstaben der ersten Zeile mit dem ersten Buchstaben der zweiten Zeile und diesen wiederum mit dem zweiten Buchstaben der ersten Zeile - vergeblich. Als Nächstes nahm er die Buchstaben der ersten Zeile und verband sie nach demselben Prinzip mit denen der dritten Zeile. Mit klopfendem Herzen las er das Wort »Niemals«.
»Ich hab’s«, rief er aufgeregt. »Ein reiner
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