Götter des Meeres
das Wasser und zeichnen ein bewegtes Mosaik auf den Meeresgrund, wo dieser nur wenige Körperlängen tief liegt.
Je weiter ich komme, desto größer wird die Unruhe in mir, für die ich keine Erklärung habe. Und dann geschieht es: Einer aus dem Kreis der Jäger kommt auf mich zu. Ich erkenne ihn sofort. Es ist Mortoch, Vertrauter und Günstling Ertachs. Welche Ausrede ich mir auch einfallen lasse, er wird mir nicht glauben.
»Ich wußte es«, ruft er. »Du bist ein Verräter, Learges.«
Kann es Zufall sein, daß er mir ausgerechnet hier auflauert? Der Ort ist gut gewählt - für mich gibt es nur ein Vor und Zurück, zu den Seiten hin ist mir der Weg durch Felsen versperrt.
»Was willst du?« Ich bin darauf gefaßt, daß er jeden Moment herabstößt.
»Keiner aus Ptaath würde lebend vom Grundlosen Wassergraben wiederkehren«, wirft Mortoch mir vor. Also weiß er alles. Wenn ich mein Leben retten will, bin ich gezwungen, ihn zu töten.
Sein Angriff erfolgt blitzschnell, er läßt mir keine Zeit, mich auf ihn einzustellen. Keiner führt das Sägezahnschwert mit derselben Geschicklichkeit wie er. Instinktiv reiße ich meinen Dreizack zur Abwehr hoch und stoße seine Waffe zurück.
Mortoch lacht nur, bevor er wieder auf mich eindringt. Während ich ausweiche, gewinne ich den Eindruck, daß er nur mit mir spielt. Es bereitet ihm Vergnügen, mich zu hetzen.
Unter dem nächsten Stich tauche ich hinweg, kann aber nicht verhindern, daß die Sägezähne meine linke Schulter ritzen. Das Schwert verfängt sich in meinem Dreizack, den ich sofort an mich ziehe. Der Schwung läßt uns heftig aufeinanderprallen. Mortochs Hände fahren mir ins Gesicht, und obwohl ich seine Gelenke umklammere, läßt er nicht locker.
Verbissen ringen wir miteinander.
Ich habe noch nie einem Okeazar das Leben genommen, diesmal bleibt mir keine andere Wahl.
Eine jäh in mir aufsteigende Übelkeit droht mich zu lähmen. Wie im Traum nehme ich den Dreizack wieder an mich und schwimme davon. Erst allmählich wird mir besser.
Mortoch war ein fanatischer Anhänger der Anemona, er hat sein Schicksal verdient. Zum Glück gibt es keine Zeugen.
*
Sieben Gezeiten sind seit meiner Initiation vergangen, als riesenhafte Tiere in den Gewässern um Ptaath auftauchen, die sich sowohl in der Luft als auch im Wasser bewegen können. Nichts ist vor ihnen sicher. Mit ihren mächtigen Hakenschwingen richten sie ungeahnte Verwüstungen an, wohin sie auch kommen. Noch wurde keine dieser Bestien in unmittelbarer Nähe der Stadt gesichtet, doch schon jetzt machen sie den Ptaath-Okeazar schwer zu schaffen. Ihnen folgt bald ein nicht minder widerwärtiges Geschöpf von graubraunem Äußeren, rissig wie verwitterter Stein und mit vier Armen. Obwohl einige Male Jäger versuchten, seiner habhaft zu werden, bekam niemand es zu fassen.
Nicht einmal die mächtige Meermutter vermag die drohende Gefahr zu bannen. Viele beginnen zu zweifeln und stoßen zu mir und meinen Freunden. Irgendwo erfahre ich von einer »Großen Plage«, die für Vanga prophezeit wurde. Die Angreifer nennt man Entersegler, ihre Heimat soll die Schattenzone weit im Norden sein.
Nur wenige Tage nach diesen Geschehnissen geht die Kunde, daß ein Schiff von den Farben des Regenbogens über der Grenze zu Ptaath gesehen wurde. Lautlos schwebte es durch die Luft, um schließlich im Gebiet der nebelumwobenen Insel Ngore inmitten eines Schwarmes Entersegler zu verschwinden.
Viele Okeazar wissen um die Dinge, die auf der Oberwelt geschehen, doch kaum einer hat eine rechte Vorstellung von den Amazonen, den Hexen und Zaubermüttern, die im Zeichen ihres Mondes die Lüfte durcheilen, in runden Schiffen aus Licht gefangen.
Eine Zaubermutter soll es gewesen sein, die nach Ngore kam. Der Gedanke, sie als Verbündete zu gewinnen, läßt mich nicht mehr los. Ich kann nicht anders, als meinem inneren Drang nachzugehen.
Mit vier Getreuen schwimme ich los, Ngore entgegen, der heiligen Insel, von der niemals der Nebel weicht.
Eine der alten Straßen führt von Ptaath aus zur Opferstätte der Anemona. Wir meiden diesen Weg und nähern uns schließlich von Süden her einer geschützten Bucht.
Einsam und still liegt die Insel da. Selbst als wir das Wasser verlassen, will der Dunst nicht weichen. Ein Hauch von Gefahr scheint in der Luft zu schweben. Aber nichts ist greifbar. Jeder Gedanke löst sich in träge dahintreibenden Schwaden auf. Die Sonne ist nicht viel mehr als ein verschwommener Fleck, der kaum Helligkeit
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