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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Parfüm roch. Es wurde ihm klar, dass er vergessen hatte, wie es hieß. Er musste ihr mehrmals Fläschchen dieses Parfüms zu Weihnachten oder zum Hochzeitstag geschenkt haben, denn es war ihr Lieblingsduft, aber die Erinnerung an den Namen verwehrte sich ihm und ließ sich nicht mehr zurückholen.
    »Du willst weitermachen«, stellte sie fest, und ihre Stimme war eine offene Wunde. »Jemand hat unsere Kinder bedroht, und du willst weitermachen.«
    »Deirdre«, sagte er und war sich bewusst, dass jedes seiner Worte die wenigen Fäden zerschnitt, die sie noch mit ihm verbanden, »ich mache mir nicht weniger Sorgen als du. Aber bis jetzt hat sich jede einzelne Drohung gegen mich als Bluff herausgestellt, von Menschen, die dachten, dass sie die Wahrheit durch Angst niederzwingen können. Du hast selbst mehrere Reden für Seine Erhabenheit darüber geschrieben, dass man Terroristen nicht nachgeben darf, indem man sich von ihnen einschüchtern lässt und ihren Wünschen nachgibt.«
    »Ich hoffe bei Gott, du landest eines Tags in der Hölle, Neil LaHaye«, gab sie zurück, und von jemandem wie Deirdre, einer Frau, die ihren Redestil berufsmäßig verfeinert hatte, bis jedes Wort wie ein Stilett saß, wirkte der plumpe Fluch auf eine Weise, wie er es in Neils Kindheit, wo er ihn täglich gehört hatte, nie getan hatte. »Wenn Julie oder Ben deinetwegen auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann bringe ich dich um.«
     
    * * *
     
    Die Ergebnisse tanzten vor ihren Augen, eindeutig, unleugbar. Sie starrte auf den Bildschirm, sie starrte auf die vergleichenden Strukturen, die sie heruntergeladen hatte. In dem üblichen Laborchaos fiel es niemandem auf, dass Beatrice an einer Diagnose arbeitete, die niemand bestellt hatte. Für die monatlichen Routinetests, die überprüften, ob sich jemand trotz aller Vorsichtsmaßnamen irgendwie infiziert hatte, war Emily Winterbottom als Betriebsärztin verantwortlich, aber an Mrs. Winterbottom hatte Beatrice sich diesmal nicht wenden können. Emily Winterbottom hatte noch vor ihrem Vater im Labor angefangen und Beatrice schon ihr ganzes Leben untersucht, was bedeutete, dass sie über das, was Neil angedeutet hatte, Bescheid wissen musste.
    Die Sache mit dem Patent hatte Beatrice den Tränen nahe gebracht, Tränen der Enttäuschung und der Wut, aber dieser Verrat ging zu tief, um darüber zu weinen. Der Atem schien ihr aus den Lungen gesogen und durch ein Gasgemisch ersetzt worden zu sein, das ihr kein Leben mehr gab. Sie kam sich vor wie die Fische in der Tiefsee, von denen sie als Kind gehört hatte, die Fische, die stets unter Druck gehalten werden mussten, weil sie sonst zerplatzten.
    Mein Leben ist doch ein Witz, dachte Beatrice und fing an zu lachen.
    »Alles in Ordnung, Bea?«, fragte Tess besorgt vom nächsten Raum aus, und Beatrice rief zurück, es ginge ihr bestens. Sie war erstaunt, wie klar sich ihre Stimme anhörte.
    »Tess«, fragte sie später beiläufig, »kann ich mir kurz dein Handy ausleihen? Meines ist gerade in der Reparatur, und das hauseigene System möchte ich nicht benutzen.«
    Ihr Handy funktionierte bestens, aber die Wahrscheinlichkeit, dass bei ihrer Nummer Stichproben gemacht wurden, war nach den Ereignissen der letzten Zeit sehr hoch. Außerdem gelang es ihr nicht länger, Daten von Mears’ Computer herunterzuladen. Der Schutzwall war nicht mehr zu durchbrechen, was bewies, dass er einen externen Spezialisten hinzugezogen hatte. Er holte sie auch nicht mehr bei Problemen, aber das konnte sie nachvollziehen. Trotzdem hätte sie denjenigen, der am Computer besser war als sie, gerne kennen gelernt; in einem Augenblick schwarzen Humors erwog sie, Mears darum zu bitten, sie einander vorzustellen.
    Sie erhielt Tess’ Gerät und steckte es in ihre Kitteltasche. Tess zwinkerte ihr zu.
    »Man kann eine Romanze auch weniger kompliziert gestalten«, murmelte sie.
    Diese Interpretation ihrer Bitte hatte so wenig mit der Wahrheit zu tun, dass Beatrice erneut versucht war, in Gelächter auszubrechen. Warum ihr Lachen leichter fiel als Weinen, wusste sie nicht.
    Als sie zu ihrem Apartment zurückkehrte, begegnete sie schon wieder Mears.
    »Lass mich raten«, sagte er. »Nach deiner Miene zu urteilen, hat sich dein Vater noch nicht zu einer Erklärung durchgerungen.«
    Wortlos ignorierte sie ihn und zog ihre Karte durch das elektronische Schloss.
    »Du könntest mich fragen«, sagte er.
    »Das könnte ich«, gab sie zurück. »Und du könntest mir alles Mögliche erzählen. Nur:

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