Götterdämmerung
Warum sollte ich dir irgendetwas glauben?«
Die Tür ging auf, und sie trat rasch ein. Zum Glück machte Mears keine Anstalten, ihr zu folgen.
»Ich hatte dir angeboten, mit mir zu arbeiten, und du hast es vorgezogen, mir in den Rücken zu fallen«, sagte er, nicht anklagend, sondern sachlich. »Also lassen wir die Debatten um Vertrauenswürdigkeit lieber.«
Zu ihrer Bestürzung stellte sie fest, dass sie errötete. Er war derjenige, der allen Ernstes künstliche Viren gegen ethnische Gruppen als Kampfstoffe entwickeln wollte, und er brachte es fertig, in ihr Schuldgefühle zu wecken. Lächerlich. Aber sie konnte den Moment nicht vergessen, in dem sie glücklich darüber gewesen war, dass er sie endlich akzeptiert hatte, dass er ihr Projekt unterstützen wollte und sie um ihre Mitarbeit für das seine bat. Das andere Genie im Laborkomplex. Der einzige Mann, dem ihr Vater ohne Einschränkung Ebenbürtigkeit zugestanden hatte.
»Wenn du so weit bist, lass es mich wissen«, sagte er sachte, und sie schloss die Tür hinter sich.
»Bin ich froh, dass du anrufst«, sagte Neil, als sie ihn erreichte. »Ich habe einen schauderhaften Tag hinter mir.«
»Da bist du nicht alleine«, antwortete sie und fragte ihn, was bei ihm besonders schauderhaft gewesen sei. Statt zu antworten, kam er mit einer Gegenfrage.
»Würdest du mich für ein Monster halten, wenn ich dir sagte, ich ließe mich von einer gegen meine Kinder gerichteten Drohung nicht von der Suche nach der Wahrheit abhalten?«
»Es gibt keine Monster, Neil«, entgegnete Beatrice müde. »Nur Menschen, die manchmal unbegreifliche Dinge tun. Womit sind deine Kinder denn bedroht worden?«
»Wahrscheinlich bluffen sie«, sagte er und schilderte ihr ein Ereignis, das sie noch vor ein, zwei Monaten als phantasiereiche Erfindung abgetan hätte. Aber das Fundament, auf das sie so viele ihrer Überzeugungen gebaut hatte, stellte sich immer mehr als Sand heraus, trockener Sand, der immer mehr zerrann. Sie konnte ihm noch nicht einmal empört versichern, dass zumindest ihr Vater nichts damit zu tun hatte. Nicht nach dem, was sie nun wusste.
»Kannst du noch einmal nach Alaska kommen?«, fragte sie unvermittelt. »So schnell wie möglich?«
Er zögerte, und sie biss sich auf die Lippen. Für ihn musste sich die Bitte verrückt anhören.
»Chuck wird zwar nörgeln, was das Zeug hält«, erwiderte er schließlich, »… aber es lässt sich machen. Immerhin habe ich zurzeit keine Lehrverpflichtungen mehr.«
»Es ist nur… ich möchte nicht allein sein«, sagte sie sehr leise, »wenn ich zum ersten Mal im Licht der Sonne spazieren gehe.«
Sie konnte mit einem Auto umgehen, auch wenn sie es nachts auf Feldwegen gelernt und nie einen richtigen Führerschein gemacht hatte. Als sie Tess um ihren Wagen bat, war die Reaktion nur etwas stärker als bei der Bitte um ihr Handy.
»Besser als sein Wagen«, sagte Tess mit einem vergnügten Grinsen, »dann ist er darauf angewiesen, sich zu benehmen, falls er nicht zurück laufen will. Aber Schatz, du musst mir versprechen, mir zu erzählen, wie es war.«
Beatrice errötete und fragte sich, ob sie das Missverständnis nicht aufklären musste. Aber das hätte nur kompliziertere Erläuterungen nötig gemacht. Also murmelte sie nur etwas darüber, dass sie sich selbst ihrer Sache noch nicht sicher sei.
»Kann ich verstehen. Trotzdem, lass dir gesagt sein, dass wir alle es hinreißend fanden, Warren in den letzten Wochen mal von seiner menschlichen Seite zu erleben. Und lass dich nicht davon einschüchtern, dass er und dein Vater sich nicht ausstehen können. Jeder muss mal erwachsen werden.«
Mittlerweile brannten ihre Wangen. Zum Glück hatte Tess ein Einsehen und übergab ihr ohne weitere Bemerkungen die Schlüssel. Der Gedanke, dass im Labor über sie und Mears geklatscht wurde, war Beatrice unsäglich peinlich. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sie das sofort richtig stellen müssen. Nur nicht jetzt, wo sie einen Wagen brauchte.
»Ich treffe einen linken Schriftsteller, der es auf Livion abgesehen hat und der die Firma für fähig hält, Erpressermethoden anzuwenden.« Nein, das war keine gute Alternative.
Es war sehr seltsam, zum ersten Mal bis zum äußersten Tor zu fahren, am Grenzbereich des Naturschutzgebietes. Das Licht war bereits milder geworden und trug einen Hauch von Dämmerung in sich. Außerdem hatte das Auto die Art von spiegelnden Fensterscheiben, die vor der Sonne schützten. Aber das half ihr nicht. Beatrice
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