Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
sie war irgendwie erleichtert. Die Bären. Das musste es gewesen sein, was sie gehört hatte. Die tägliche Ausgelaugtheit und die Rückenschmerzen waren noch nicht aus ihren Gliedern gewichen; sie ließ sich wieder in ihr Bett zurückfallen. Dienstmädchen und Putzfrauen hatten ein entschieden härteres Dasein, als sie es sich je vorgestellt hatte.
    Natürlich gab es jederzeit die Möglichkeit, aufzuhören oder Mike schlicht und einfach für den Aufenthalt zu bezahlen. Aber solange sie hier arbeitete, würden nie Gäste oder die gelegentlich auftauchenden Park Ranger fragen, was sie hier eigentlich tat, sie würde ihnen nicht als ungewöhnlich auffallen; als Putzfrau war sie für die meisten Menschen unsichtbar. Beatrice, die in ihrem Leben nur einen beschränkten Personenkreis gekannt hatte und daher selbst mit dem Reinigungspersonal und den Torwächtern auf Du und Du stand, fand das eigenartig.
    Es war nicht das einzige Eigenartige. Die Welt mit Neil in Form eines Urlaubs zu erkunden, war entschieden anders, als mit zwei Kolleginnen, die sie als eine weitere Sommeraushilfskraft akzeptierten, hinter diversen Gästen herzuräumen. Sie verstand einen Teil der Witze und Anspielungen nicht und wagte, anders als bei Neil, nicht zu fragen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Umgekehrt gab es keine Möglichkeit, sich mit einem der Menschen hier, selbst mit Mike nicht, über einen Großteil der Dinge zu unterhalten, die sie interessierten. Sie war noch nie so lange von ihren Computern getrennt gewesen, und Orwells Essays, das einzige Buch, das sie hatte mitnehmen können, kannte sie inzwischen auswendig. Nachrichten bekam sie nur am Rande mit, weil ihr Zimmer keinen Fernseher und kein Radiogerät besaß. Sie schnappte sich die Zeitungen, die die Gäste zurückließen, aber die meisten waren erst gar nicht mit Zeitungen gekommen. Ihre neuen Kolleginnen oder Mike auszuhorchen, brachte, weil sie nicht gezielt fragen konnte, auch nicht die gewünschten Ergebnisse. Sie hörte zwar etwas über die neueste Öltankerkatastrophe, zum Glück diesmal weit weg von hier, über die Baseballergebnisse und über den kommenden Goldwaschwettbewerb in Dawson City, aber nichts von Livion, nichts über Neil LaHaye und nichts über Victor Sanchez.
    Da sie um einen Teil ihrer alltäglichen Sprache gebracht war und anders als mit Neil keine gemeinsamen Entdeckungen machen konnte, kam sie sich gelegentlich so unbeholfen und plump vor wie ein Kind. Nein, nicht wie ein Kind; selbst als Kind war sie so vertraut mit ihrer Welt gewesen, mit den Gesetzen und Gegebenheiten, dass sie sich in ihr sicher bewegen konnte. Fehler zu machen, die sonst keinem unterliefen, und immer etwas zu spät über Witze zu lachen, war neu und zutiefst demütigend. Du bist hier nicht Beatrice, sagte sie sich und hoffte, das würde helfen; du bist jemand anders. Du bist Anne. Anne ist eben etwas langsam.
    Anne besaß offenbar auch kein Talent, Freundschaften zu schließen. Manchmal bildete sie sich ein, Tess als Kollegin neben sich zu haben, wenn sie sich erschöpft gegen eine Holzwand lehnte, und wollte eben fragen, ob sie nicht nach der Arbeit ins Schwimmbad gehen könnten, als ihr wieder einfiel, dass es hier kein Schwimmbad gab und das Meer viel zu kalt zum Schwimmen war, dass es sich nicht um Tess, sondern um eine Frau namens Melanie handelte, die Beatrice gleich am ersten Tag gesagt hatte: »Annie, du stellst dich an, als hättest du noch nie irgendwo die Scheiße weggeputzt.«
    Nur ein paar Wochen, wiederholte Beatrice sich immer wieder. Nur noch ein paar Wochen, und dann kann ich es riskieren und Alaska verlassen. Doch wenn sie sich nicht fragte, wie es um Neil und ihren Vater stand, dann krochen die Zweifel in ihr hoch. Was würde sie anderes tun als jetzt? Ob sie je eine Stelle finden würde, in der sie ihre Talente so einsetzen konnte wie bei Livion? Sie hatte die Qualifikationen, aber, wie Mears ihr so süffisant mitgeteilt hatte, sie existierte offiziell nicht. Noch nicht einmal ihr Patent war etwas, auf das sie legal verweisen konnte. Aber gut, angenommen, sie würde eine Universität oder einen anderen Konzern überzeugen können, ihr eine Chance zu geben, vielleicht durch die Darstellung ihres Wissens - wie konnte sie jetzt noch sicher sein, dass sie nicht einfach Szylla gegen Charybdis austauschte und einen ähnlichen Handel einging wie ihr Vater, als er sich ursprünglich Livion verpflichtete? Es blieb wohl nur das Ausland. Aber wohin?
    Und wenn schon ein

Weitere Kostenlose Bücher