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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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konnte es sich nicht versagen hinzuzufügen: »Vielleicht hört Warren dann auf, bei Mr. President gegen uns zu konspirieren.«
    Die Vorstellung, ihm im letzten Monat tatsächlich fast auf den Leim gegangen zu sein und seinem Bluff hinsichtlich einer Eingrenzung auf den rein militärischen Bereich mehr als ein paar Minuten geglaubt zu haben, wurmte sie jetzt noch.
    »Das bezweifle ich«, entgegnete ihr Vater trocken und mischte ein paar Mameyscheiben zwischen die Bananen. »Warren wäre nicht da, wo er jetzt ist, wenn er je mit dem zufrieden gewesen wäre, was man ihm zur Verfügung stellt. Aber danke für den Vorschlag. Wenn du das fertig bekommst und mit der Sicherheit klären kannst, fällt zumindest mir ein großer Stein vom Herzen.«
    »Aber Mr. President wäre wohl nicht beeindruckt genug, um Warren zu versetzen?«
    »Kaum. Warren und ich sind gleichrangig hier, als Chemiker ist er unersetzlich, und egal, wie es um die Sympathien bestellt ist, wir arbeiten zusammen und ergänzen uns ausgezeichnet, das kann ich nicht leugnen und du auch nicht. Du nennst ihn einen Diktator, aber man braucht ein gewisses Zuchtmeisternaturell, um in einer so isolierten Situation, wie wir sie hier haben, zu verhindern, dass sich die Mitarbeiter gegenseitig an die Kehle gehen, statt ihren Job zu erledigen. Er zwingt die Leute zu Höchstleistungen. Er hat die Persönlichkeit dazu, aber sein Problem ist, dass er nicht an die Folgen denken kann. Es ist kein Zufall, dass ich auch hier gelandet bin. Wenn man Warren allein auf die Menschheit losließe, dann wäre er vermutlich schon längst vor einem Ausschuss der Food & Drug gelandet, und Livion hätte endlose Klagen am Hals. Denk nur an die angeblich nicht mehr vermehrungsfähigen Retroviren, die er als Taxi für seine Wirkstoffe verwenden wollte, bis ich mein Veto eingelegt habe. Die hätten ihre Fracht überall im Immunsystem abgeliefert, und dann hätten wir den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben.«
    Der Rest der Mamey, den er durch die Presse gejagt hatte, war nun ganz und gar zu Saft geworden, und Beatrice löste den Behälter, um die Gläser damit zu füllen. Während er ihr die Gläser reichte, fuhr ihr Vater fort:
    »Aber seine Idee, zwei oder drei Bindungsstellen zu nutzen, mit Merkmalen, die es ihnen ermöglichen, sich in anderen Zellen festzusetzen, die war phantastisch und lässt sich noch anderweitig nutzen.«
    »Auf solche Ideen kommst du auch allein, früher oder später. Ganz im Ernst, Dad, wozu brauchst du Warren?«, fragte sie.

Das Gesicht ihres Vaters verschloss sich. »Abgesehen davon, dass ich ohne Warren und diesen Job hier wohl siebzig Prozent meiner Zeit darauf verschwenden müsste, Gelder aufzutreiben, statt zu forschen? Als Anregung. Als Kontrast. Als Straße, die ich nicht genommen habe.«
    »Ich dachte, du wolltest kein anderes Leben«, sagte sie und schaute absichtlich nicht zu ihm, sondern auf den rosigen schweren Saft, der aus dem Plastikrund in das erste Glas tropfte.
    »Ich will auch kein anderes. Aber wenn es Warren nicht gäbe, wüsste ich das vielleicht nicht so genau.«
     
    * * *
     
    Julie und Ben trennten nur zwei Jahre, und seit Ben fünf geworden war, hätten sie manchmal als Zwillinge durchgehen können. Mit zehn bewegte sich Julie auf die Grenze der Kindheit zu; noch ein, zwei Jahre, und die Pubertät würde sie erfassen und neu formen, mit der Gnadenlosigkeit eines kunstbesessenen Schmieds. Sie trug ihr Haar gewöhnlich in einem Pagenschnitt, schien jedoch beschlossen zu haben, es länger wachsen zu lassen.
    »Als Prinz Eisenherz gehst du nicht mehr durch«, kommentierte Neil, während er die Sachen der Kinder auspackte.
    »Wer ist Prinz Eisenherz?«, fragte Julie mit gekrauster Stirn.
    Mit seinen Kindern zu sprechen, kam Neil manchmal wie Kommunikation in einer Fremdsprache vor. Er versuchte sich nicht allzu sehr als Fossil zu fühlen, bis er die CDs durchging, die Julie mitgebracht hatte. Die jugendlichen Gesichter auf den Covers waren ihm samt und sonders unbekannt.
    »Und was ist dein Lieblingssong von…«, verzweifelt bemühte er sich, den Titel einer der CDs zu entziffern, versagte und riet mit dem einzigen Boyband-Namen, an den er sich erinnerte, »’N Sync?«
    »Dad, das sind doch nicht ’N Sync, das sind die Coolies!«
    Ben kannte noch keine Boybands, aber dafür bestand er darauf, zu alt zu sein, um das Neuengland-Aquarium zu besichtigen.
    »Aber die Seelöwen haben dir doch das letzte Mal so gut gefallen«, sagte Neil

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