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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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»Bearbeiten« und fügte ein Postskriptum hinzu.
    »Verrate mir doch deinen Namen. Ich verspreche, dass ich ihn in den Chaträumen nie benutzen werde, aber Pseudonyme erinnern mich immer an Halloween, und dem sind wir doch sicher beide entwachsen.«
     
    Schwacher Donner wie von einem entfernten Gewitter setzt sich in seinen Ohren fest. Etwas schnürt ihm die Kehle zu, und er weiß nicht, ob der Geschmack auf seinen Lippen der von Zitroneneis oder Staub und Blut ist. Die bleierne Hitze des Sommers. Nicht die trockene, afrikanische Hitze, sondern die regenschwangere Wärme von Louisiana, und er weiß, er ist wieder zu Hause. Lavendel und Kölnisch Wasser, versetzt mit dem Geruch nach Arzneimitteln und Fäulnis.
    »Owen sagt, du willst nicht mehr in die Kirche, um für mich zu beten«, flüstert seine Mutter, und das Klagen seines Vaters klingt diesmal wie Teds verlöschende Stimme, wie Ted, dem er nicht hatte helfen können. Er spürt die geschwollene Hand seiner Mutter in seiner Linken, aber gleichzeitig hält er die knochige Hand von Mrs. Edgarson in seiner Rechten, und das ist neu. Sie sitzen beide neben ihm auf der Couch, die mit Großmutters so sorgfältig genähtem Flickenteppich ausgelegt wurde, aber der Teppich besteht nicht mehr aus Stoffstücken. Nein, er besteht aus Papier; und aus seinen Fingerspitzen, über die aufgeschwemmte Hand seiner Mutter und die knochige von Mrs. Edgarson fließt schwarze Tinte, schwarz wie die Lakritze, die seine Kinder so gerne essen, und genauso klebrig fühlt sie sich an. Wieder versucht er, seine Hände zu lösen, aber ein Blick auf die verlorenen Augen seiner Mutter, und er bringt es nicht fertig.
    »Das ist nicht genug, Neil«, sagt seine Mutter. »Ich brauche ein Wunder.«
    »Ich kann das nicht noch einmal durchmachen«, murmelt Mrs. Edgarson. In ihrer freien rechten Hand hält sie einen Rosenkranz, aber die Marienmedaille in der Mitte sieht falsch aus; die Figur der Gottesmutter ist rot auf blauem Grund.
    »Hilf mir«,fleht seine Mutter, und über ihre Schulter hinweg sieht er Deirdre im Schein des fahlen Lichts, das ganz und gar nicht nach Louisiana gehört. Deirdre steckt die Hand nach ihm aus, aber er ist nicht in der Lage, aufzustehen und sie zu ergreifen.
    »Verstehst du nicht«, beginnt er, und wie jedes Mal schüttelt Deirdre den Kopf. Doch diesmal ist etwas anders. Deirdre deutet an ihm vorbei, und plötzlich entdeckt er, was er immer vergessen hat: Es gibt noch eine zweite Tür in diesem Raum. Direkt hinter der Couch. Er spürt einen Luftzug und weiß, sie ist geöffnet. Er kann hindurchgehen. Wenn seine Mutter und Mrs. Edgarson ihn loslassen, kann er hindurchgehen.
     
    »Dad!«
    Neil schreckte hoch, und der leichte Druck der kleinen Hand auf seiner Schulter ließ ihn einen langen, erstickenden Moment lang glauben, nur in einen weiteren Traum geglitten zu sein, bis er merkte, dass es sich um seinen Sohn handelte.
    Ben kniete vor der Couch, auf der Neil während des Besuchs der Kinder schlief, und rüttelte ihn, so gut er konnte.
    »Ich kann nicht schlafen, Dad«, sagte Ben verlegen, als Neil sich aufsetzte. Neil fragte sich, ob der Junge ihn gehört hatte, und bezweifelte es. Soweit er wusste, verliefen seine Albträume geräuschlos. Zumindest hatte ihm nie jemand etwas anderes erzählt.
    »Ich weiß nicht, ob ich dir da helfen kann, Sportsfreund«, antwortete er und stellte fest, dass sich seine Stimme belegt anhörte. Als die Kinder noch kleiner gewesen waren, hatten er und Deirdre gewusst, was in solchen Fällen zu tun war: Ben einfach in den Arm nehmen und wieder in den Schlaf schaukeln. Dazu war der Junge nun zu alt. Eine Geschichte zu erzählen, bis er wieder einschlief, würde Julie aufwecken, und auf dem Sofa war eindeutig nur für eine Person Platz. Neil setzte sich auf und bemerkte, dass er einen steifen Hals hatte.
    »Hast du es schon mal mit Zählen versucht?«
    »Schafe zählen ist was für Babys, Dad«, gab Ben beleidigt zurück. Belustigt fuhr ihm Neil durch das Haar und hielt plötzlich inne, als ihm sein Traum wieder einfiel. Rasch zog er seine Hand zurück.
    »Schafe sind für Babys«, flüsterte er, bemüht, so leise wie möglich zu sprechen, »aber Alligatoren sind für wahnsinnig tapfere Jungs. Hast du schon mal einen Alligator rennen sehen, Ben? Die Viecher erwischen jeden, der nicht genügend Abstand hält, und dabei haben sie ganz lausige Augen.«
    »Ich hab noch überhaupt nie einen Alligator gesehen«, stellte Ben fest. »Du hast immer

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