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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nichts anderes als geballte Erbinformationsgene mit den Daten über Planung und Vermehrung und ein bisschen Hülle aus Proteinen außen herum. Es hätte für ihn durchaus nahe liegen können. Warum also nicht?
    »Korrigier mich Laien, wenn ich mich irre«, stand in einer von Neils Mails, »aber werden nicht jährlich zwei Milliarden Dollar staatlicher Forschungsgelder an Institute vergeben, die HIV-spezifisch forschen? Forschungen für, sagen wir mal, Brustkrebs, bekommen nicht mal ein Zehntel davon. Wenn ich James T. Armstrong wäre, würde ich doch meinen berühmtesten Wissenschaftler auf diesen äußerst lukrativen Forschungszweig ansetzen, um sicherzustellen, dass der Staat mich unterstützt und mir den größten Teil meiner Ausgaben abnimmt.«
    Sie sah den Gebäudekomplex vor sich aufragen, ein grünlicher Schatten in der Nacht. Die Kamera vor dem Nebeneingang, den sie benutzte, richtete sich auf sie, und sie winkte Frank und Louis zu, die heute Nacht Dienst hatten. Die Tür glitt auf, und sie trat ein. In diesem Bereich befanden sich nur Wohnungen, keine Labors, also gab es keine weiteren Sicherheitsvorkehrungen. Louis kam mit einer Tasse Kaffee in der Hand heraus, um sich etwas mit ihr zu unterhalten.
    »Nicht mehr lange, und der Matsch da draußen ist endgültig weg«, bemerkte er. »Es wird Zeit, Miss B. das kann ich Ihnen flüstern. Ich will endlich wieder nach Anchorage fahren können, ohne Angst zu haben, stecken zu bleiben.«
    »Wie geht’s Ihrer Frau, Louis?«, erkundigte sich Beatrice.
    »Die ist froh, wenn sich kein Schneeklumpen mehr blicken lässt. Diese Tauperiode ist besonders schlimm. Sie spürt es in den Fingern, Miss B. die kann sie kaum bewegen, wenn das Wetter so ist.«
    Beatrice kannte das Gichtproblem von Louis’ Frau ebenso wie das mit dem unsäglichen Mathematiklehrer, der Franks jüngsten Sohn hatte durchfallen lassen. Aber sie war weder Louis’ noch Franks Familie je begegnet; Namen und Fotos und oft wiederholte Anekdoten formten ein Bild für sie, das es jedoch nie ganz in die dritte Dimension schaffte.
    »He, Dr. Mears«, sagte Louis über ihre Schulter hinweg, »ich dachte, Sie wären schon nach oben gegangen. Müssen Sie noch mal raus?«
    Sie drehte sich um. Warren Mears stand auf der Treppe zu den Wohnfluchten im ersten Stock, ein unruhiges Bündel nervöser Energie; sie konnte sich nicht erinnern, ihn einmal ruhig stehend erlebt zu haben. Er wippte auf den Zehenspitzen, sei es aus Ungeduld, sei es, um größer zu wirken, wenn er mit Männern wie Frank oder ihrem Vater in einem Raum war, die ihn um fast einen Kopf überragten. Mears trug noch seinen Mantel; es war sein Auto gewesen, das vorhin an ihr vorbeigefahren war. Auf Louis’ Frage hin schüttelte er den Kopf.
    »Nein«, sagte er. »Lassen Sie uns allein, ich muss noch kurz etwas mit Miss Sanchez besprechen.«
    Louis zuckte die Achseln und ging in den Kontrollraum zurück. Beatrice lag es auf der Zunge, gegen seinen anmaßenden Ton zu protestieren und zu fragen, ob es nicht bis morgen Zeit hätte, entschied aber dann, dass die Frage für Mears wahrscheinlich zänkisch oder kindisch klingen würde. Außerdem war ihr Vater nicht der Einzige, der auch ohne Sympathie Achtung vor Warren Mears als Wissenschaftler hatte. Mears wies ihr die Richtung. Sie stieg vor ihm die Treppe hoch, und er begleitete sie zu ihrem Apartment.
    »Dein Plan mit dem Netz als Rechner ist nicht schlecht«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »aber wann bist du mit der neuen Chipgeneration endlich so weit, dass ich sie verwenden kann?«
    Sie nannte ihm den ungefähren Zeithorizont und konnte es sich nicht verkneifen, sich zu erkundigen, ob sie denn seiner Meinung nach nicht schnell genug arbeiteten, war doch ihr Vater in der Lage gewesen, das letzte Projekt der medizinischen Abteilung noch vor dem erwarteten Datum abzuschließen.
    »Ihr habt die falschen Prioritäten. Der Schutz unseres Landes sollte vor jeder Stammzellentherapie kommen, wie oft soll ich das noch wiederholen? Aber vielleicht«, entgegnete er, »versteht man das nicht - als Tochter eines Einwanderers.«
    Das brachte sie dazu, stehen zu bleiben.
    »Das ist billig, Warren. Dad hat mehr über die Verfassung vergessen, als du je gelernt hast.«
    Seine blassgrünen Augen, im Schein der schwachen Nachtbeleuchtung des Gangs grau glänzend, verengten sich. Zu ihrer Überraschung legte er beide Hände auf ihre Schultern.
    »Nein«, sagte er sachte, »es ist realistisch. Dein Vater glaubt, dass er

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