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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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unsere Kanzlei ist. Neil, so großzügig das Medienrecht auch ist, so was kann verdammt danebengehen, wenn deine Behauptungen nicht absolut wahrscheinlich sind. Die Zeit, wo wir eins der ganz großen Verlagshäuser mit einem ungeschriebenen Manuskript von dir ködern konnten und einen Riesenvorschuss bekommen haben, ist vorbei, und die kleineren Verlage verlassen sich nicht auf optimistische Auslegungen des Medienrechts. Außerdem haben sie keine riesigen Rechtsabteilungen, die alle möglichen Konsequenzen vorher prüfen können.«
    »Bist du nun ein Genie von einem Agenten oder bist du keines?«, fragte Neil herausfordernd. »Mit dem neuen Buch von mir kannst du einen dicken Fisch an Land ziehen, glaub mir.«
    »Schmeicheleien sind billig.«
    »Habe ich dir schon mal zu viel versprochen?«
    »Du hast mir seinerzeit geschworen, dass die amerikanische Öffentlichkeit schockiert und fasziniert zugleich von den Schicksalen der Gefangenen in Guantánamo sein würde«, stellte Xavier fest, »und stattdessen waren sie nur desinteressiert und empört über die bloße Existenz des verflixten Buches.
    Neil, schau, ich mag dich wirklich gern. Ich habe damals auch sofort verstanden, wie sehr der ganze Ärger mit Deirdre sich auf dein Urteilsvermögen niederschlagen musste. Aber jetzt ist die Schonzeit vorbei, verstehst du? Jetzt will ich nur noch Gold in papierner Form sehen. Ich habe Partner, denen gegenüber ich Rechenschaft ablegen muss.«
    Neil zog eine übertriebene Grimasse. »So viel zu meinen Plänen, im Internet zu veröffentlichen.«
    »Auch du, mein Sohn Brutus? Untersteh dich«, gab Xavier zurück und fügte beunruhigt hinzu: »Das war doch ein Witz, oder?«
    Es war als Scherz gedacht gewesen, doch nun konnte Neil nicht widerstehen.
    »Alles schon da gewesen.«
    »Vergiss es. So was würde kein Verlag dir verzeihen, und ich auch nicht.«
    »Im Interesse weiterer Yankee-Besuche…«, sagte Neil gedehnt, griff sich etwas Popcorn und lehnte sich zurück, um das Spiel zu genießen.
    Bis zur Pause hatte er auch das Thema UN-Gala aufs Tapet gebracht, ohne Armstrong beim Namen zu nennen, und eine abschlägige Antwort erhalten. Sicher, Xavier fand auch, dass so eine Gala ein wirkungsvoller Kontrastpunkt zur Beschreibung von Ted Sandiman und den Hinterbliebenen der ersten AIDS-Opfer sein würde, aber es war zu kurzfristig und zu teuer, Neil jetzt noch eine Einladung zu verschaffen.
    Als Neil zu den Klängen von Let’s go to ballroom aufstand, um sich die Beine zu vertreten und neue Getränke zu besorgen, erspähte er auf der Treppe eine elegante Frau mit graublonden Haaren, die ihm bekannt vorkam. Eine Sekunde später war er sicher, dass die Götter auf seiner Seite waren.
    »Hallo, Louisiana«, sagte Dinah Strauss, als sie ihn entdeckte. »So trifft man sich wieder. Was macht das neue Buch?«
    Er machte ein paar Andeutungen und ließ einfließen, wie sehr eine Wohltätigkeitsveranstaltung größeren Stils ins Bild passen würde. Wie Neil gehofft hatte, stellte sich heraus, dass sie als Schwester eines so frühen Opfers tatsächlich zu der UN-Gala eingeladen worden war.
    »Dad natürlich auch«, erzählte sie, während Neil und sie am Geländer am Rundgang lehnten und die Unterhaltungsnummern verfolgten, die sich auf dem Spielfeld die Ehre gaben, solange die Pause währte. Soweit er es ohne Fernglas erkennen konnte, hatte man einer Frau die Augen verbunden und sie aufgefordert, eine riesige Plüschkuh umzurennen, die laut »Muh! Muh!« rief.
    »Aber er sagt, er ginge lieber freiwillig ins Altenheim, als sich noch eine einzige rührselige Rede anzuhören, und dem Nächsten, der ihm eine Anstecknadel mit roter Schleife reiche, würde er die Augen damit ausstechen.«
    »Ihren Vater würde ich gerne mal kennen lernen.«
    »Ganz bestimmt nicht. Er hält alle Südstaatler für rassistische Tölpel mit Lynchjustizmoral.«
    »Aber ich bin wirklich gut als Bostoner«, erwiderte Neil in seiner besten Imitation eines Neuengland-Akzents. Sie lachte.
    »Naja, vielleicht.«
    »Haben Sie seine Einladung bereits weitergegeben?«, fragte er so beiläufig wie möglich und blickte zum Spielfeld hinunter. Nach drei vergeblichen Versuchen aus unmittelbarer Nähe rannte die Frau mit der Augenbinde nun endlich die Plüschkuh um. Dinah Strauss schüttelte den Kopf.
    »Ich hoffe nur, dass keine Touristen hier sind und hier ihren ersten Eindruck von Amerika bekommen. Verraten Sie mir eins - warum seid ihr sozialkritischen Schriftsteller nur so

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