Götterdämmerung
scharf auf die Highsociety?«
»Die Reichen sind anders als du und ich«, zitierte er F. Scott Fitzgerald und verzog den Mund zu einem Lächeln. »Reine Materialsuche und die Gelegenheit, ein paar gute Sätze fürs Buch aufzuschnappen. Außerdem soll das Essen gut sein.«
»Und Barbra singt«, ergänzte sie.
»Und Barbra singt.«
»Möglich, dass ich die Karte noch habe«, sagte Dinah Strauss und warf ihm einen schrägen Blick zu. »Aber warum sollte ich sie ausgerechnet Ihnen geben? Wir kennen uns ja kaum.«
»Dafür gibt es mindestens zwei plausible Gründe«, entgegnete er. »Einer der Gäste ist der Arbeitgeber des Kubaners, der Ihren Bruder behandelt hat und dann verschwunden ist. Nach allem, was ich bisher herausgefunden habe, war das der Einfall des Arbeitgebers.«
Sie sog heftig den Atem ein. Für einen Moment zeigte sich hinter der Fassade der schlagfertigen New Yorkerin wieder die verwundete Frau, die im Central Park mit ihm gesprochen hatte.
»Und der zweite Grund?«, erkundigte sie sich dann, sehr ruhig.
»Ich sehe einigermaßen repräsentabel in einem Anzug aus, bin ein wirklich guter Tänzer und vielleicht ab und zu beleidigend, aber nie langweilig.«
»Hm«, sagte sie und musterte ihn. »Das sind drei Gründe. Aber wissen Sie, ich sehe selbst nicht schlecht in einem Anzug aus. Fand jedenfalls meine letzte Freundin.«
»Da bin ich sicher«, gab er zurück und stellte fest, dass es ihm Spaß machte, in der Gewissheit zu flirten, dass nie mehr von ihm erwartet werden würde. »Erlauben Sie mir dann, Sie morgen Abend in einem Anzug zu einer garantiert nicht langweiligen Wohltätigkeitsgala zu eskortieren?«
»Das war so ungefähr die raffinierteste Variante von ›ich lade dich ein, und du zahlst‹, die ich je erlebt habe«, sagte sie bewundernd. »Aber warum nicht.«
Es fiel schwer zu sagen, was die Gäste an diesem Abend in der Met häufiger trugen, rote Schleifen oder Juwelen. Barbra Streisand sang in der Tat gekonnt und herzergreifend, gefolgt von Montserrat Caballe. Für Neil wäre es selbst dann ein unterhaltsamer Abend gewesen, wenn er nicht in der Erwartung hingegangen wäre, irgendwann mit Armstrong zu sprechen. Er unterhielt sich blendend mit Dinah Strauss. Erst als Armstrong, als einer der Ehrengäste und Sponsoren des Ereignisses, um eine Rede gebeten wurde, fiel Neil in die Wirklichkeit zurück.
»Solange es Livion gibt«, verkündete James T. Armstrong mit ausgebreiteten Armen wie ein alttestamentarischer Prophet, »solange dürfen die HlV-Infizierten dieser Welt hoffen.«
»Vorausgesetzt, sie haben genügend Geld«, murmelte Dinah Strauss sardonisch, während Neil Mrs. Edgarson vor sich sah und Ted, Ted mit seiner grauen Haut und den zerstörten Hoffnungen. »Wenn der Mann jemals wirklich Präsident werden sollte, ziehe ich nach Kanada.«
»Er hat mindestens zwei Leibwächter dabei, wahrscheinlich mehr«, sagte Neil und reckte den Hals, um sich zu vergewissern. »Wenn ich mich beim Händeschütteln anstelle, komme ich nicht dazu, mehr als zwei Sätze zu sagen, bevor einer von den Gorillas mich weiterschiebt. Ich werde ihn im Lift abpassen, Dinah. Kommen Sie mit?«
»Ist einen Versuch wert. Heute Abend finden noch ein paar andere Empfänge statt; wenn er seine Rede gehalten und die wichtigsten Hände geschüttelt hat, wird er garantiert verschwinden. Wie gut seid ihr Südstaatler denn im Vordrängeln?«
Es waren etwas mehr als ein paar Rempeleien nötig, doch am Ende stand Neil neben James T. Armstrong, einer lächelnden Dinah Strauss und zwei betont gelangweilt dreinschauenden Leibwächtern im Aufzug zur Parkgarage. Die Uhr lief, also machte Neil es kurz. Es gab keine Zeit für Plänkeleien.
»Mr. Armstrong, mein Name ist Neil LaHaye. Haben Sie irgendeinen Kommentar zum Rückzug des von Ihnen so geförderten Dr. Victor Sanchez aus der Öffentlichkeit kurz nach den ersten publik gewordenen AIDS-Fällen? Oder darüber, dass Livion erst danach die AZT-Lizenz erworben hat?«
»Dies ist wohl kaum der Zeitpunkt für ein Interview«, entgegnete Armstrong mit einem angewiderten Gesichtsausdruck. »Fragen Sie wegen eines Termins bei meiner Pressechefin nach.«
»Er ist nicht der Einzige, der das gern wissen will«, mischte Dinah Strauss sich ein. »Ihr Dr. Sanchez hat 1981 meinen Bruder Justin behandelt und dann nach drei Monaten die Betreuung einfach abgebrochen.«
Armstrongs gesamte Ausstrahlung veränderte sich sofort vom herrischen Konzernschef zum mildtätigen
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