Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)
bleibt es einzelnen Personen oder Gruppen überlassen, der Gefahr entgegenzutreten. Eine davon hast du ja bereits kennengelernt …«
Es dauerte ein wenig, bis der Dichter begriff: Die junge Frau im Grenzland und ihre Begleiter!
»Was weißt du von ihr?«, fragte ein wenig zu hastig, korrigierte sich aber sofort: »Ich meine, von diesen Leuten.«
»Die Frau heißt Miriam Katana«, antwortete der kleine Mann, als hätte er den Nachsatz überhört. »Aber das ist nicht ihr richtiger Name, sondern der einer Waffe, als die sie sich sieht. Sie ist übrigens die Halbschwester des jungen Piloten, der im Kampf gegen die Bedrohung gefallen ist. Seine Geschichte – oder sollte ich besser sagen, ›die Weise von Liebe und Tod‹? – sollte dir eigentlich vertraut sein.«
»Ich erinnere mich«, murmelte der Dichter nach einer Weile und zuckte hilflos mit den Schultern. »Aber ich weiß nicht mehr, ob ich das alles tatsächlich miterlebt habe oder im Traum. Der ›Cornet‹ ist – auch wenn ich es beim Schreiben manchmal verdrängt habe – reine Fiktion. Also kann es eigentlich nur ein Traum gewesen sein.«
»Nicht unbedingt«, wandte der Besucher ein. »Die Grenzen waren schon immer fließend. Wie sonst hättest du damals unsere Gegenwart spüren können, bevor du die ersten Elegien zu Papier brachtest? Wirklichkeit ist ein dehnbarer Begriff. Du hättest niemals Dichter werden können, wenn du nicht an die Substanz deiner Schöpfungen geglaubt hättest. Natürlich ist die Realität einer erdachten Figur eine andere als die eines Räubers, der dich auf der Straße niederschlägt, um an deine Geldbörse zu gelangen, aber das ändert nichts an der Tatsache ihrer Existenz, die oftmals nachhaltiger ist als die vermeintlich realer Mitmenschen.«
»Das erklärt aber nicht, weshalb ein späteres Ereignis genauso ablaufen sollte wie in meiner Geschichte beschrieben«, erwiderte der Dichter skeptisch.
»Und was ist mit deinen Installationen im Grenzland?« Der kleine Mann lächelte. »Nach den Gesetzen der Logik und Kausalität dürften sie niemals entstanden sein. Doch wie wir beide wissen, sind sie durchaus real. Ebenso real wie die Tat von Miriams Halbbruder Christoph übrigens, die fraglos Konsequenzen hatte. Immerhin leitete sie die erste Niederlage der Angreifer ein. Ich war dabei und sollte das beurteilen können.«
Der Dichter schwieg. Er wollte nicht über diesen verwirrenden Traum sprechen, nicht über das Graue Land, das Baumwesen oder gar seine eigene Rolle. Manchmal war es klüger, die Dinge auf sich beruhen zu lassen, erst recht wenn man die Antworten auf bestimmte Fragen fürchtete.
Was tue ich hier? , war eine dieser Fragen und damit verbunden: Wie lange schon?
Im Schloss gab es zwar Uhren, aber weder einen Kalender noch sonstige Hinweise auf eine über den Tag hinausreichende Zeitspanne. Selbst der Kreislauf der Jahreszeiten war unterbrochen, zumindest konnte sich der Dichter nicht erinnern, Garten und Park jemals anders als in der Blütenpracht des Frühlings erlebt zu haben. Anfänglich hatte ihn das irritiert, aber mittlerweile nahm er derlei Merkwürdigkeiten gar nicht mehr bewusst wahr.
Sie zu hinterfragen, rührte an den Grundfesten seines Hierseins und musste zwangsläufig in einer Sackgasse enden. Auch deshalb fürchtete sich der Dichter vor dem, was ihm der Besucher zu sagen hatte, wobei ihm die Schizophrenie dieser Haltung durchaus bewusst war, denn ein Teil von ihm brannte durchaus darauf, die Wahrheit zu erfahren …
»Also gut«, sagte der kleine Mann, als das Schweigen drückend zu werden drohte. »Du hast gefragt und verdienst eine offene Antwort. Was ich eben über die Menschheit gesagt hatte, trifft in kaum geringerem Maße auf uns selbst zu. Bei uns gibt es ebenfalls Abtrünnige, die auf eine Entscheidung drängen, und das selbst um den Preis einer Konfrontation, die jede Vorstellungskraft sprengt. Dieses Inferno droht jedoch alles zu zerstören, selbst das Gebäude der Weltenordnung. Wir müssen auch dafür Vorsorge treffen, und dieser geschützte Ort ist, wie eine ganze Reihe anderer, Teil dieser Vorsorge. Dir und deinesgleichen könnte es nach der Katastrophe vorbehalten sein, Dunkelheit und Chaos mit euren Erinnerungen zu füllen und so den Weg für einen Neuanfang zu bereiten. Alles, was an diesem Ort geschieht, dient in erster Linie dazu, dich auf diese Aufgabe vorzubereiten, die letztlich auf nichts Geringeres hinausläuft als eine neue Schöpfung.«
»Aber wieso gerade ich?«,
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