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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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gab – und dass er zu den üblichen Besuchszeiten wiederkommen solle. Diese kurze Information musste vorerst genügen.
    Er hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn. Kaltes Wasser lief über Stirn und Hinterkopf auf seinen Jackenkragen, spülte Schmutz aus seinen Haaren, tropfte auf seine Schuhe und den braun gefliesten Fußboden. Ben richtete sich auf, rieb sich die letzten Flecken von Wange und Kinn und versuchte, seine Haare mit den Fingern zu ordnen.
    Während er überlegte, was er als nächstes tun sollte, lauschte er auf verdächtige Geräusche. Auf die Stimmen draußen vor der Tür. Auf das Stapfen schwerer Stiefel. Auf das fast lautlose Schlurfen weicher Sohlen, die versuchten, sich ihm lautlos zu nähern. Das Kreischen der ankommenden Züge störte Ben immer wieder. Er musste die Zeit bis zum Nachmittag überbrücken, aber hier war er nicht sicher. Zurzeit war er nirgendwo sicher. Die Fremden hatten wahrscheinlich längst bemerkt, dass er nicht mehr auf der Wiese lag. Und sie würden nicht aufgeben. Dazu waren sie schon zu weit gegangen. Er hatte lediglich einen kurzen Aufschub bekommen.
    Was nun? Nach Hause konnte er vorerst nicht zurückkehren. Das würden die Fremden im Auge behalten. Der Rettungsdienst hatte inzwischen sicher die Polizei verständigt, das war das übliche Vorgehen bei Schussverletzungen, doch Ben traute den Beamten nicht. Er hatte immer noch die Warnung seines Vaters im Ohr. Er würde sich von den Polizisten genauso fernhalten wie von seinen mysteriösen Verfolgern. Wahrscheinlich hatte die Behörde ohnehin nur jemanden zur Spurensicherung geschickt, der längst nicht mehr vor Ort weilte. So oder so, Ben konnte das Risiko nicht eingehen. Vermutlich war es genauso gefährlich, sich in der Klinik blicken zu lassen, aber er musste einfach wissen, wie es seiner Mutter ging. Ihm blieb nichts übrig, als die Augen offen zu halten. Diesen Vince würde er jedenfalls schon von weitem erkennen.
    Wenn er nur wüsste, weshalb die Fremden ihn verfolgten! Was konnten die belanglosen Berechnungen, die er mit seinem Vater durchgeführt hatte, ausgelöst haben? Oder waren es gar nicht die Forschungsarbeiten? Verwechselten die Männer ihn vielleicht mit einer anderen Person? Das wäre eine plausible Erklärung! Aber mit wem? Wer war so gefährlich, dass eine ganze Gruppe Besessener hinter ihm her jagte? So schwer wie die Männer bewaffnet gewesen waren, musste es sich entweder um organisierte Kriminelle oder Auftragskiller handeln.
    Ben riss sich von seinem Spiegelbild los. Es brachte nichts, hier über das Wieso nachzudenken. Zuerst brauchte er ein Versteck. Er überlegte fieberhaft, wer ihm helfen konnte, aber ihm fiel niemand ein. Seine Eltern hatten immer sehr zurückgezogen gelebt. Bis auf eine alte Tante, die inzwischen verstorben war, hatten sie niemals Besuch empfangen. Sie pflegten keine Kontakte zu den Nachbarn und es gab auch keine weiteren Verwandten. Die wenigen Freunde, die Ben früher einmal gehabt hatte, waren irgendwann nicht mehr aufgetaucht. Die Kollegen seines Vaters kannte Ben nur von Fotos und den kurzen Erzählungen am Abendtisch. Davon abgesehen wollte er auch niemanden in Gefahr bringen.
    Er öffnete die Tür und sah sich um. Der U-Bahnsteig war fast leer. Gerade hatte ein Zug die Station verlassen, doch schon füllte sich der Bahnsteig wieder. Ben lief hastig zum Ausgang und von da aus zurück zum Klinikgelände. Die Menschen um sich herum nahm er nur als undeutliche Farbflecken wahr, Schemen von denen er sich abwandte, bevor sie scharfe Konturen annahmen. Er wollte von niemandem angesprochen werden. In einer Seitenstraße fand er ein Versteck zwischen einem Mauervorsprung und ein paar Mülltonnen. Dorthinein zwängte er sich und wartete.
     
    •
     
    Simon saß in der U-Bahn Richtung Klinik, als er die Fotos bekam. Er erkannte den Jungen sofort. Ärgerlich schlug er sich gegen die Stirn, was ihm einen missbilligenden Blick seines Sitznachbarn einbrachte. Simon sah den Mann herausfordernd an. Der Mann drehte seinen Kopf zum Fenster. Im Grunde war es weniger ein Fenster als ein Bildschirm. Es zeigte nämlich nicht die Dunkelheit des U-Bahn-Schachtes, sondern die Landschaft an der Oberfläche. Bäume, Straßen und Häuser schienen so dicht an ihnen vorbeizurasen, als würde sich die Bahn in einer Höhe von zwei Metern direkt neben ihnen befinden. Nur an den Stationen und für die obligatorische Werbung wurde die Übertragung unterbrochen.
    Müde schloss Simon die Augen. Wie gern

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