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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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würde er einfach hier sitzen bleiben, bis zur Endhaltestelle fahren und dann zurück nach Hause. Die Erschöpfung hatte sich in seinem Körper eingenistet wie ein resistentes Virus. Sie machte ihn träge und unaufmerksam.
    Die U-Bahn hielt. Noch eine Station , dachte Simon deprimiert und schlug die Augen auf, um nicht wirklich noch einzuschlafen. Da wurde er um sein letztes bisschen Freizeit gebracht, weil Vincent, dieser Idiot, seinen Job nicht ordentlich erledigt hatte. Hoffentlich hielt der Junge sich überhaupt noch in der Klinik auf.
    Als die U-Bahn erneut anhielt, sprang Simon aus dem Wagen und sprintete los. Normalerweise schaffte er den Weg zum Krankenhaus in weniger als zwei Minuten. Heute brauchte er dreieinhalb. Er war wirklich am Ende. Simon wünschte sich, er wäre ein bisschen aufgeregter: Er hoffte auf die aufputschende Wirkung des Adrenalins.
    In der Aufnahme saß noch dieselbe Frau wie vor anderthalb Stunden. Patricia. Simon stürmte auf sie zu.
    „Ist er noch da?“, wollte er wissen. „Ben Maiwald?“ Er zeigte ihr ein Foto des Jungen.
    Patricia betrachtete es mit hochgezogenen Brauen und schüttelte den Kopf. „Den habe ich weggeschickt“, sagte sie bedauernd. „Die Frau, zu der er wollte, ist nicht ansprechbar und Besuchszeit ist sowieso erst in ein paar Stunden.“
    „Hab ich mir gedacht“, murmelte Simon. „Wenn er das nächste Mal kommt, lass ihn durch!“, bat er Patricia.
    Sie legte den Kopf zur Seite und lächelte ihn an. „Oookay“, sagte sie gedehnt.
    Simon erwiderte das Lächeln. „Wohin wurde die Frau gebracht?“, wollte er wissen.
    „Moment, ich muss nachsehen. Wie hieß sie gleich? Vera Maiwald? Ja?“ Sie tippte kurz auf ihrer Tastatur. „Da ist es“, rief sie fröhlich. „Abteilung Innere Medizin Haus II. Intensivstation.“ Simon reckte den Daumen und verließ die Halle.
    Zehn Minuten später hatte er die Jeans gegen seine hellblaue Klinikkleidung getauscht und sich ein Schild mit dem Namen Dr. Stephan angesteckt. Er prüfte kurz, ob er allein im Raum war, dann holte er seinen „Nanopartikel Transmission Stick“, kurz NPT-Stick, aus einem Versteck im Spind und steckte ihn in seine Tasche. Das Gerät war silbergrau, so dünn wie ein Bleistift und nicht länger als sein kleiner Finger. Es enthielt eine stets konstante Menge bestimmter Nanopartikel und gehörte zur Grundausstattung moderner Medizin. Obwohl es eigentlich nur von entsprechend ausgebildeten Ärzten benutzt werden durfte, hatte sich Simon seines schon vor langer Zeit besorgt.
    Er drückte den Einlassknopf an der Tür. Eine sommersprossige Schwester öffnete ihm. Simon nickte ihr freundlich zu. „Ist Frau Maiwald bereit für die Verlegung?“, fragte er mit fester Stimme, damit es sich mehr nach einer Anweisung als nach einer Frage anhörte.
    „Soll sie denn jetzt schon verlegt werden?“, wunderte sich die Schwester.
    „Das hängt von ihrem Zustand ab. Darf ich sie mir mal ansehen?“
    Die Schwester hielt ihm die Tür auf. Simon bemerkte, dass sie die einzige menschliche Person auf der Station war, abgesehen von einem Mann in Polizeiuniform, der jedoch in ein Telefongespräch vertieft auf dem Gang hin und her lief und ihn nicht beachtete. Zwei Roboter befanden sich in einem angrenzenden Raum. Sonst war niemand hier.
    „Sind Sie neu?“, fragte die Schwester neugierig.
    Simon runzelte die Stirn. „Wenn Sie die Protokolle der Dienstberatungen aufmerksam studieren würden, hätten sie sicher schon von mir gehört!“, wies er die Frau zurecht.
    Die Schwester sagte nichts. Sie führte ihn in eines der Zimmer neben dem Eingang und wies auf das rechte Bett. „Lassen Sie sich Zeit!“
    Simon nickte streng. „Danke“, sagte er und modellierte seine Tonlage so, dass es eher nach einem „Auf Wiedersehen“ klang.
    Und jetzt lass mich in Ruhe , dachte er nervös und ging auf das Bett unter dem Fenster zu. Er stellte sich so, dass die Überwachungskamera nur seinen Rücken aufnahm. Dann ließ er seinen Blick durch den kleinen Raum streifen, registrierte, dass das Nachbarbett unbelegt war und dass die Schwester im Zimmer blieb, die Apparate kontrollierte und ihn beobachtete. Also spielte er mit. Er stellte den Bildschirm über Veras Bett neu ein, kontrollierte die Anzeigen und machte sich Notizen. Endlich verließ die Schwester den Raum.
    Simon zog den Vorhang zu und betrachtete die schlafende Frau. Sie war Mitte Fünfzig, hatte freundliche Gesichtszüge und wirkte trotz ihrer Verletzung seltsam entspannt.

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