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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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erschöpft und lief dicht an den bodentiefen Fenstern vorbei. Das Licht der Morgensonne blendete ihn und er hoffte, es würde ihn etwas wacher machen. Er wollte nur noch nach Hause, sich auf seine Couch fallen lassen, den Fernseher einschalten und sich eine der vielen Spiel-Shows aus dem Netz laden. Die Empfangshalle war zu dieser Zeit fast leer. Die Besuchszeiten begannen erst am Nachmittag, die Sprechzeiten der Ambulanzen in einer Stunde. Lediglich ein paar Notfallpatienten saßen auf den grauen Kunststoffstühlen und warteten darauf, dass einer der Service-Roboter sie ins Behandlungszimmer begleitete.
    Der Junge fiel ihm auf, weil er aussah, als hätte er die Nacht in einem Schlammloch verbracht. Er war vollkommen verdreckt, Jacke und Jeans von Schlammspritzern übersäht, die Haare hingen ihm schmutzig ins Gesicht und die Hände waren braun und grün verfärbt. Simon musste ihn schon einmal irgendwo gesehen haben, konnte sich jedoch nicht daran erinnern. Kein Wunder bei den vielen Patienten, denen er in der Klinik begegnete.
    Er warf der Frau am Empfang einen bedauernden Blick zu und sie hob die Brauen und lächelte zurück. Der Junge stand äußerlich ganz ruhig vor der großen Glasscheibe, musterte ihn jedoch misstrauisch.
    Assi, dachte Simon und kehrte ihm den Rücken zu.
    Er lief ein Stück die Straße entlang, bis er zur U-Bahn-Station kam, fuhr drei Stationen und stieg in einem heruntergekommenen Plattenbaugebiet aus.
    Ich bin auch nicht viel besser , sagte er sich und betrachtete mürrisch die Wohnblocks, die seit Jahrzehnten nicht mehr saniert worden waren: Farbe blätterte von Graffiti besprühten Wänden, einige Fenster waren gesprungen und auf dem Rasen vor den Eingängen lag Müll.
    Simon rieb sich die Augen und betrat einen der Blocks. Im Treppenhaus roch es nach Blumenkohl und Bier. Er versuchte, den Gestank zu ignorieren und eilte die Stufen zu seiner Wohnung im vierten Stock hinauf. Zwei Zimmer, Küche, Bad, das genügte ihm.
    Würde jemand durch sein Fenster schauen, fiele ihm unweigerlich der große Kontrast zur Umgebung auf. Zwar hatte auch Simons Wohnung ihre Schwächen – das Linoleum war abgewetzt, die Heizung funktionierte unzuverlässig und die Fliesen über seiner Küchenzeile waren fast alle gesprungen, aber es war sauber. Blitzblank. Und zwar nicht nur oberflächlich, sondern bis in die tiefsten Ritzen, die verstecktesten Winkel hygienisch rein.
    Simon konnte Schmutz nicht ausstehen. Schmutz war ein Hort für Bakterien und allerlei anderes Ungeziefer, das sich früher oder später ausbreiten und auch von seinem Körper Besitz ergreifen würde. Eine scheußliche Vorstellung, wie er fand. In seiner Wohnung duldete er nicht den kleinsten Fleck, nicht den winzigsten Krümel. Immerhin hatte das Alleinleben einen gewaltigen Vorteil: niemand konnte ihm seine Ordnung versauen.
    Er schloss die Wohnungstür hinter sich und ging ins Bad, wo er sich die Hände mehrmals mit heißem Wasser und Spezialseife wusch. Anschließend desinfizierte Simon Türklinke und Wasserhahn. Obwohl er auf der Unfallstation arbeitete, befürchtete er ständig, irgendwelche mysteriösen Keime aus der Klinik mit nach Hause zu bringen. Müde lief er ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und stellte ihn auf lautlos. Dann hörte er die neuen Anrufe ab. Einer kam von seiner Versicherung, die ihre Gebühren erhöhte, einer von Thea, die ihn erneut bat, Yasmin am Wochenende zu nehmen. Der letzte stammte von Oliver, der ihm kurz mitteilte, er solle schleunigst zurückrufen. Isabelle hatte sich nicht gemeldet. Simon überlegte kurz, ob das etwas zu bedeuten hatte. Ob er ihr möglicherweise doch nicht so wichtig war, wie er glaubte. Sie konnte schließlich jeden haben.
    Entspann dich, dachte er. Isabelle musste ihn nicht ständig anrufen, das war okay, es bedeutete, dass sie nicht klammerte. Nach seiner nächsten Schicht würde er sie wiedersehen.
    Er kippte sich in der Küche eine Tüte Chips in eine Glasschale, wobei er genau darauf achtete, dass nichts daneben ging, wischte die Arbeitsplatte sorgfältig ab und wählte schließlich Olivers Nummer. „Was gibt es?“, fragte er statt einer Begrüßung.
    „Wo bist du?“, wollte Oliver wissen.
    „Gerade nach Hause gekommen. Läuft die Sache heute Abend?“
     „Ja, sicher. Hör zu: Wann bist du wieder in der Klinik?“
    „Ich hab Nachtschicht, also ab zehn.“
    „Mist. Das ist zu spät.“
    „Zu spät? Wofür? Die Aktion startet doch erst viel später.“
    Oliver

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