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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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geschlossen.
    „Lassen Sie mich raus!“, schrie Ben und warf sich gegen das Metall. Die Tür gab nicht nach. Er hämmerte weiter gegen die Tür, merkte jedoch, dass die letzte Kraft, die ihn noch auf den Beinen gehalten hatte, plötzlich aus seinem Körper schwand und einem unerklärlichen Entsetzen Platz machte, das ihn aus der Dunkelheit überfiel. Die Panik drang in jeden Winkel seines Körpers und löschte jeden Gedanken aus seinem Kopf, bis auf die drei Worte Ich und will und raus . Sie schmeckte nach Staub und Mörtel und Ben hatte plötzlich das sichere Gefühl, ersticken zu müssen.
    Zitternd sank er zu Boden und schlang die Arme um seinen Körper. Schloss die Augen. Versuchte sich vorzustellen, er wäre noch auf dem Parkplatz vor der Klinik, versuchte sich das Bild des rot-weiß gestreiften Kleinwagens ins Gedächtnis zu rufen, an den er sich gelehnt hatte, aber alles was er sah, waren unscharfe Konturen, die sich sofort wieder auflösten. Egal, was er versuchte, die Angst riss jedes Bild, das nicht mit Verfolgung und Tod zu tun hatte, sofort aus seinem Gedächtnis. Er blieb hilflos in der Dunkelheit zurück.
     
    •
     
    Das U-förmige Gebäude sah genauso aus wie er es in Erinnerung hatte. Nur die Sträucher, die den weiten Platz vor dem Eingang umgaben, waren um einiges größer. RT 501 lief langsam den Weg zum Haupteingang entlang und blickte dabei nach oben. FUOP-TECH AG stand in riesigen, in die Fassade integrierten, silbernen Buchstaben an der Front des zehnstöckigen Gebäudes.
    Er passierte den Eingang und verspürte eine eigenartige Befriedigung. Das alles gehört mir, dachte er und schleuderte einen Wachmann zur Seite, der ihn am Weiterlaufen hindern wollte. Eher beiläufig bemerkte er die aufgeregten Rufe ringsum und dass die Leute mit panischem Gesichtsausdruck vor ihm davonrannten. RT 501 war es recht. Sollten sie ihm Platz machen.
    Er wandte sich den Fahrstühlen zu, hielt dann aber inne und lief an ihnen vorbei zur Treppe. Heute nicht , sagte er sich, ohne zu wissen, was er damit meinte. Im zweiten Untergeschoss öffnete er die Tür zur firmeneigenen Tiefgarage. Er durchquerte sie ohne besondere Eile und wandte sich schließlich einer weiteren unscheinbaren Tür zu. Dort war es. Dahinter lag sein Zuhause. Er machte sich in diesen Minuten keine Gedanken darüber, woher er diese Informationen hatte, dass er seine neuen Erinnerungen erst seit einigen Stunden besaß. Er fühlte nur diese angenehme innere Ruhe, die tiefe Zufriedenheit, die ihn ausfüllte. Er hatte es geschafft! Und damit meinte er nicht nur, dass er an der Stelle angelangt war, zu der seine Erinnerungen ihn geführt hatten, sondern dass er über eine irgendwie menschliche Art von Macht verfügte. Dieses Menschliche machte ihm Angst, denn er hatte nicht vergessen, wer er war. Aber darum würde er sich später kümmern, wenn er mehr wusste.
    RT 501 zweifelte nicht daran, dass es ihm gelingen würde, die menschlichen Gefühle, die ihn belästigten, irgendwann abzuschütteln und sich wieder ganz auf sein eigentliches Ich zu konzentrieren. Mit diesem Ziel vor Augen formte er seine Gliedmaßen zu Händen und gab eine siebenstellige Kombination aus Zahlen und Buchstaben in das Codeschloss ein, das die Tür blockierte.
     
    •
     
    „Steh auf!“, hörte er seine Mutter sagen. Sie begann zu singen. „Der Hahn hat schon gekräht, steh auf, mein Kind, es ist schon viel zu spät.“
    „Ich will noch schlafen“, brummte Ben. „Der Hahn hat noch gar nicht gekräht. Es ist ja noch dunkel.“
    „Na, dann machen wir doch Licht“, flüsterte sie und streichelte zärtlich seine Wange.
    „Du bist nicht meine Mutter“, murmelte er. „Ich kenne dich nicht.“
    Ben schlug die Augen auf. Eine erstickende Dunkelheit umgab ihn. Sie nahm seinen Traumbildern die Farbe und löste ihre Konturen auf. Der Junge überlegte, ob die Frau in seinem Traum real war, wo er ihr begegnet sein mochte und wann, doch er fand keine Antworten. Viel zu schnell verschwanden die Bilder. Er versuchte vergeblich sie festzuhalten.
    Schon war die Dunkelheit wieder allein mit ihm.
    Er zwang sich aufzustehen. Mit ausgestreckten Armen tastete Ben sich durch sein etwa zehn Quadratmeter großes Gefängnis. Er wusste nicht, wonach er suchte, er wusste nur, dass er nicht liegen bleiben und nichts tun konnte.
    Irgendwann fühlte er ein viereckiges Plastikgebilde. Das musste ein Schalter sein! Er drückte ihn herunter. Tatsächlich. Eine Glühbirne, die lose von der Decke

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