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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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Besichtigung frei. Ich begutachtete alles und zeigte mich — meiner Pflicht gemäß — beeindruckt. Jemand hatte ihn nach allen Regeln der Kunst vermöbelt. Seine malträtierte Nase war dick wie eine Rübe; verkrustetes Blut klebte an den Nasenlöchern. Seine aufgeplatzten Lippen waren auf das Doppelte ihrer normalen Größe angeschwollen und das rechte Auge war zu. Und er stank nach Benzin und saurem Schweiß.
    Ich fuhr ihn in die Notaufnahme des Providence Hospitals. Nachdem Luther die Versicherungsformulare übel zugerichtet hatte, brachte uns eine erschöpfte Krankenschwester in einen Untersuchungsraum. Wir mussten eine geschlagene Stunde warten, bis sich ein Arzt sehen ließ. Er war jung und bestens aufgelegt, wahrscheinlich ein Assistenzarzt im ersten Jahr.
    »Aber hallo, was ist Ihnen denn zugestoßen?«, begrüßte er uns.
    »Wonach sieht’s denn aus, verdammt noch mal?«, erwiderte Luther, allzeit bereit, in die Hand zu beißen, die ihn füttern wollte.
    Die gute Laune des Arztes verflüchtigte sich umgehend. Mit einem Stirnrunzeln sah er auf sein Klemmbrett. »Hier steht, Einbrecher hätten Sie angemacht.«
    »Angemacht!?«, entfuhr es Luther. »Das ist mehr als beschönigend, Doc. Anmachen ist, wenn jemand in der Sauna Ihren Schwanz befummelt. Sie haben mich nach Strich und Faden verprügelt, mir Benzin über den Kopf gegossen, das haben sie gemacht.«
    Der Arzt schnupperte an Luthers Kopf. »Wurde die Polizei informiert?«
    Luther sah mich an, mit diesem gewissen schrägen Blick, und ich wusste, was jetzt folgte, war pure Erfindung. »Natürlich wurde sie das«, sagte er. »Aber es war dunkel. Wolken verhüllten den Mond. Keine Chance für mich, die Typen zu erkennen. Und sind wir doch mal ehrlich, die Cops haben Besseres zu tun, als zur Jagd auf zwei Schläger von außerhalb zu blasen.«
    Der Arzt, nun völlig in seinem Element, machte sich an Luthers Versorgung. Er säuberte ihn, nähte eine Platzwunde über dem Auge, verabreichte ihm ein Schmerzmittel und riet ihm zu einem Eisbeutel für die Nase und einer Haarwäsche mit einem Geschirrspülmittel. Dann verschwand er, um sich dem nächsten Patienten zu widmen.
    Als wir in der Tiefgarage waren, fragte ich: »Warum hast du dem Jungen einen Bären aufgebunden?«
    »Ich will die Cops nicht mit hineinziehen. Als ich sie das erste Mal gerufen habe, haben sie mich beinahe ausgelacht. Und überhaupt, was können die schon ausrichten?«
    »Nun, als Erstes könnten sie diese Chaoten mit Schlagstöcken bearbeiten und anschließend in eine Gefängniszelle stecken. Könntest du dich damit anfreunden, Luther?«
    »Die brocken mir nur zusätzlichen Ärger ein. Das kann ich momentan absolut nicht gebrauchen. Dir ist sicher nicht entgangen, dass ich mich bemühe, so etwas wie einen ernsthaften Roman zu schreiben, oder? Ich will mein Leben nicht noch komplizierter machen, als es ohnehin schon ist. Ich brauche Ruhe und Frieden, J.P., keine weitere Zuspitzung. Die Muse verlangt danach.«
    Luther, wie er das literarische Genie gab. Es amüsierte mich stets, wenn er das tat. Er stellte sich damit auf eine Stufe mit Hemingway, Faulkner, Joyce oder wem auch immer. Für Werbezwecke und für den Fall, dass er öffentliche Aufmerksamkeit brauchte, hatte er einen ganzen Packen Hochglanzfotos von sich machen lassen: das Gesicht zweigeteilt durch Licht-und-Schatten-Effekte, die Brauen gefurcht, ein besorgter und zugleich beunruhigender Ausdruck in den Augen, der vermitteln sollte, dass literarischer Ruhm nicht nur ein Geschenk sei, sondern auch ein Kreuz, das man schultern musste.
    Ich fuhr zum Hollywood-Café. Dort bestellte ich einen Brandy für Luther und für mich ein Bier. Er wollte nichts essen. Ich gönnte mir einen Teller Gorditas.
    »So wie du dich mit diesem frittierten Mist vollstopfst, hättest du bereits drei Herzinfarkte erleiden müssen«, bemerkte Luther.
    »Ich halte mich körperlich fit«, erwiderte ich, »sitze nicht den ganzen Tag rum, rauche grifa und starre auf eine Schreibmaschine.«
    Sein Mund verzog sich zu einem blasierten Grinsen. »Du denkst also, Schreiben verbrenne keine Kalorien? Falls du dir dessen nicht bewusst sein solltest — das Gehirn verbraucht neunzig Prozent der im Körper vorhandenen Glukose. Am Ende eines Arbeitstages komme ich kaum noch von meinem Stuhl hoch.«
    »Mit deinen fünfzig Kilo Übergewicht hat das nichts zu tun, oder?«
    »Du bist ein kleingeistiger Spießer«, sagte er, »der keine Vorstellung hat, was mir das Leben

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