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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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sein. Sundown würde es nur ungern zugeben, aber sie hätten dich am liebsten zurück.«
    »Danke, aber zuerst müssen sie mir meinen rosa Arsch küssen.«
    »Du müsstest dich nur nach vorn beugen.«
    Wir gaben uns zum Abschied die Hand und gingen unserer Wege.
    Mein Weg führte mich zum Union Depot, zum Schließfach. Ich öffnete es, nahm den Karton heraus und warf einen Blick hinein. Das Geld steckte in Plastikbeuteln, die mit Klebeband verschlossen waren. Was mich jedoch wesentlich mehr interessierte, waren die Videobänder, die Carla erwähnt hatte. Es befanden sich insgesamt sechs 8mm-Kassetten im Karton, alle identisch beschriftet: Der versehentliche Schuss. Sechs nummerierte Kopien. Ich nahm eine an mich und stellte den Karton wieder in das Schließfach. Auf dem Weg zurück in mein Motel hielt ich bei Radio Shack und kaufte einen Adapter, damit ich das 8mm-Band auf einem gewöhnlichen Videorekorder abspielen konnte.
    Mir dämmerte, dass mein Vorhaben nicht im Einklang stehen konnte mit meinem Eigeninteresse. Mir dämmerte aber auch, dass ich überhaupt keine klare Vorstellung mehr davon besaß, was mein Eigeninteresse war oder was Eigeninteresse bedeutete. Vielleicht hatte das Eigene seine eigene Agenda und ich war nur das Werkzeug. Ein vertrauter und zugleich verstörender Gedanke, den man besser verdrängte.
    Ich fuhr zu meinem Motel, heftigen Gefühlen ausgeliefert, für die ich keine Erklärung hatte.

43
    Ich hielt beim First Strike, einem Waffenladen im Ostteil der Stadt, und kaufte eine Schachtel 230 grs. Teilmantel-Hohlspitzpatronen Kaliber 45 für meine Colt M1911. Sie war die letzte Waffe, die ich zur Verfügung hatte. Ich hatte nie damit geschossen, weil ich sie als Antiquität betrachtete, und wusste nur, dass ihre beweglichen Teile Rost angesetzt hatten und voller Sand waren. Ich nahm die Pistole auseinander, reinigte und ölte sie gründlich, setzte sie wieder zusammen und drückte ein paarmal ab. Gefühlt wog sie eine Tonne, aber man konnte einen Truck damit außer Gefecht setzen.
    Phoenix war in etwa eine Tagesfahrt von El Paso entfernt. Ich mochte die Stadt nicht. Oder vielmehr das, wozu sie sich entwickelt hatte. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre hatten Stadtplaner und -entwickler sie zu einem grünen Paradies umgestaltet und dafür Unmengen an Wasser aus dem Colorado River veruntreut. Wohin das Auge blickte, Golfplätze, künstliche Seen, fetter grüner Rasen, Obst- und Gemüseanbau. Wüsste man es nicht besser, man könnte meinen, sich in den Tropen zu befinden, wo die Niederschlagsmenge in Zentimetern gemessen werden könnte und nicht in Millimetern. Kostbares Wasser dient der Ästhetik und wird nicht als etwas Unverzichtbares behütet. Kalifornien, Nevada, Utah, New Mexico und Arizona, alle haben sie ihre Schnauzen im Trog und schlürfen das Einzige weg, was Leben in der Wüste überhaupt erst möglich macht. Hat der Fluss dann die Grenze erreicht, können die Mexikaner ihren Anteil in Teelöffeln abmessen. Eine lang anhaltende Trockenheit in den Rocky Mountains, der Wiege des Colorados, würde die großen Städte des Südwestens verschwinden lassen wie Luftspiegelungen.
    Am späten Nachmittag war ich in Phoenix. Die digitalen Ziffern einer Uhr an einem Einkaufszentrum zeigten fünfundvierzig Grad. Ich entschied mich für ein in die Jahre gekommenes Motel in Chandler, südlich von Tempe, das seinerseits südlich von Scottsdale lag. Die Preise für Motels in Scottsdale waren ganz schön happig und diese Reise unternahm ich nun mal auf eigene Kosten.
    Dr. Stefan Selbiades hatte einen Eintrag im Branchenteil des Telefonbuches von Phoenix. Ich rief in seiner Praxis an und erklärte der Sprechstundenhilfe, ich hätte ein auffälliges Muttermal am Bein, das praktisch über Nacht seine Form verändert habe, worüber ich ganz furchtbar beunruhigt sei. Ich sagte tatsächlich »ganz furchtbar«, und zwar mit einem »furchtbar« vornehmen Hydepark-am-Hudson-Akzent. Ich bildete mir ein, dass könne sie beeindrucken. Obwohl sie einen ziemlichen Aufriss um ihre Kreativität machen, sind Menschen aus dem Westen von jeher schnell einzuschüchtern, wenn es um das Geld und das kultivierte Gehabe der Ostküste geht. Ich hörte mich an wie Franklin D. Roosevelt, der zu Fala, seinem Scottish Terrier sprach.
    Die Sprechstundenhilfe bot mir einen Termin für die kommende Woche an, doch ich bestand darauf, den Arzt am nächsten Morgen zu konsultieren.
    »Ich fliege morgen Nachmittag nach Singapur. Geschäfte,

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