Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
Vom Netzwerk:
die einen Aufenthalt von einem Monat erfordern. Sie müssen mich irgendwie dazwischenschieben. Dieses Ding an meinem Bein macht mir eine teuflische Angst! Ich habe gehört, Dr. Selbiades sei der Beste. Ich brauche meinen Seelenfrieden! In Singapur wird man mir wahrscheinlich mit Akupunktur oder kraniosakraler Therapie kommen. Ist jemals ein Melanom erfolgreich mit Akupunktur oder kraniosakraler Therapie behandelt worden? Ich wage zu behaupten, nein!«
    Ich wage zu behaupten, nein? Sie zögerte — und ließ sich erweichen.
    »Ich kann Sie zwischen zehn und elf Uhr einschieben, Sir«, sagte sie. »Seien Sie um halb elf da. Der Doktor wird Sie dann schnellstmöglich untersuchen. Wenn es sich tatsächlich um ein Melanom handeln sollte, werden Sie möglicherweise Ihren Flug nach Singapur absagen müssen.«
    »Mein Leben ist mir wichtiger als jeder Erfolg in Singapur«, sagte ich mit Grabesstimme.
    »Natürlich ist es das.« Ihr Tonfall klang wie mein Echo. »Das Leben ist ein Geschenk. Es ist bedauerlich, dass wir immer erst dann zu dieser Erkenntnis gelangen, wenn wir uns unserer Sterblichkeit bewusst werden.«
    »Wahre Worte«, sagte ich. »Wirklich wahre Worte.«
    Sie war der wandelnde erhobene Zeigefinger und brauchte es, dass man ihr täglich den über alles erhabenen Hintern küsste. Ich tat ihr den Gefallen.
    Ich aß eine Kleinigkeit in einem Restaurant gegenüber vom Motel. Dem Restaurant war eine Bar angeschlossen, eine dunkle, großzügig klimatisierte Bar. Die Drinks waren ebenfalls großzügig. Das Glas, worin man mir die Bloody Mary servierte, hätte einem Goldfisch gereicht. Nachdem ich mir zwei Bloody Marys gegönnt hatte, ging ich in mein weniger großzügig klimatisiertes Motel. Ich zog mich aus und setzte mich in das armselige Lüftchen des klappernden Ventilators.
    Meine Gedanken kreisten um Dani Thrailkill, die vermutlich bereits ein Apartment gefunden hatte, vielleicht sogar eins in der Nachbarschaft. Das man zu Fuß erreichen konnte. Ich wollte den Gedanken daran verscheuchen. Mir kam unser gemeinsam verbrachter Nachmittag in den Sinn. Auch diesen Gedanken versuchte ich zu verscheuchen. Doch mein bockiges Hirn produzierte Rückblenden dieses Nachmittags in Blue-Movie-Qualität.
    Ich rief die Auskunft an und die elektronische Stimme nannte mir die neue Telefonnummer der Thrailkills. Ich notierte sie, saß da und starrte auf den Zettel. »Da wäre noch mehr drin«, hatte Dani gesagt. »Besuch mich mal.«
    Aber ich war nicht ihretwegen hier. Oder?
    Ich zerriss den Zettel, zog mir etwas über und machte mich auf den Weg zur Rezeption, um mich zu erkundigen, ob man einen Videorekorder ausleihen könne. Der Angestellte, ein Pickelgesicht um die zwanzig, reagierte mit einem anzüglichen Lächeln auf meine Frage.
    »Klar doch. Wohl ’n paar Pornos ausgeliehen?«
    »Snuff-Filme«, erwiderte ich und quittierte sein Feixen mit meinem besten Psychopath-kommt-nach-Phoenix-Blick. Es gelang ihm nur mit Mühe, sein dreckiges kleines Grinsen beizubehalten. Ich ging zurück in mein Zimmer, schloss den Videorekorder an und schob die Kassette rein. Man hatte das Band nicht geschnitten. Die ersten Bilder waren Allerweltsaufnahmen: Hector am Steuer von Carlas Corolla, vom Beifahrersitz aus gefilmt. Carla, wie sie irgendwo in der Wüste auf die Kamera zugeht. Ein am Himmel kreisender Falke oder Adler oder Geier, aufgenommen mit Teleobjektiv. Die Nahaufnahme einer Wüstenschildkröte. Dann die vorbeifliegende Landschaft, während der Wagen einen zweispurigen Wüsten-Highway hinunterjagt, anschließend gut eine Minute lang blaues Nichts. Plötzlich erwachten die Bilder zu neuem Leben und ich beobachtete, wie Hector sich einem bewaffneten Mann in Tarnkleidung nähert. Hinter Hector eine Reihe anderer Leute, offenbar die Illegalen — Frauen mit Babys, einige alte und ein halbes Dutzend junger Männer, zwei alte Frauen, in Schultertücher gehüllt. Der Mann im Tarnanzug hebt seine Waffe — schwer zu sagen, ob es sich dabei um eine Mac-10 oder UZI handelt. Hector fängt an zu gestikulieren, schreit. Der andere weicht zurück, strauchelt, hält die Waffe in einem merkwürdigen Winkel. Es kommt zu einem Wortgefecht zwischen Hector und dem Mann im Tarnanzug. Der Typ gibt einen Feuerstoß in die Luft ab. »Mein Gott, Hector«, hörte ich Carla sagen, »sieh dich bloß vor.« Hector packt den Lauf der Waffe, reißt ihn nach unten und zur Seite, das Knattern von gut einem halben Dutzend Schüssen ertönt und beide Männer springen

Weitere Kostenlose Bücher