Goetterdaemmerung - Roman
verwirrten nun seine Gedanken, sodass er trotz aller Anstrengungen abschweifte und den Faden verlor – und der Anblick einer verträumten und schweigsamen Belcredi, die zerstreut alte Theaterprogramme, Briefe und verwelkte Blumensträuße aus einer auf ihren Knien ruhenden Kassette ins Feuer warf, brachte den Verliebten zusätzlich aus der Fassung, so sehr, dass er begann, das Gegenteil von dem zu sagen, was er offensichtlich sagen wollte; und in diesem Augenblick streckte ein Zimmermädchen den Kopf in den Salon und bat, Mademoiselle möge angeben, zu welcher Uhrzeit ihre Koffer abgeholt werden sollten.
«Demnach verlassen Sie das Palais?», fragte der Graf.
«Ich habe», erwiderte Giulia, «ein kleines, vollständig möbliertes Häuschen in der Rue du Puits-qui-parle, Hausnummer 7, gemietet.»
Und mit diesen Worten war sie gleichsam mit zwei leichtfüßigen Sprüngen an der Tür und tuschelte mit Laury, die hereinkam, um die auf den Sesseln herumliegenden Pelzkragen und Muffs einzusammeln.
Otto hatte sich ebenfalls erhoben und betrachtete durch das Fenster die breite, von Menschen wimmelnde Straße, die herausgeputzten und vollgestopften Geschäfte, die unzähligen Fuhrwerke, die schnell und unaufhörlich unter diesem regnerischen Himmel dahinrollten, was ihn noch trauriger machte. Er sagte sich jedoch immer wieder, dass dies eine einzigartige Stunde sei, einer der lebendigsten und schönsten Augenblicke, die er jemals erleben werde; und voller Wut auf sich selbst strengte er sein Herz nach Kräften an, um sich zu einer Empfindung zu bewegen. Er fühlte sich den Tränen nahe oder im Begriff, außergewöhnliche Taten zu vollbringen; und als in ebendiesem Moment, nachdem Laury endlich hinausgegangen war, Giulia alles durcheinander in die Kassette zurückwarf, was sie zuvor an Papieren herausgezogen und auf dem Tischtuch zurechtgelegt hatte, näherte sich Otto ihr unvermittelt und legte ihr den Arm um die Taille. Sie sagte: «Habt Ihr keinen Hunger? Möchtet Ihr nicht eine Kleinigkeit essen?»
Dann begann sie, über die glimmenden Holzscheite gebeugt, die Kassette über dem Kamin auszuschütteln, wobei sie das Häufchen Programme mit der Feuerzange fasste, damit keines danebenfiel; unterdessen bedeckte der junge Mann ihren Nacken mit Küssen. Doch mit einem Mal war Otto ernüchtert; er stand vor ihr wie ein Klotz, wie ein Tier; und auch Giulia blieb eisig, stumm wie eine Statue und beobachtete, die Augen aufs Feuer gerichtet, wie ein letzter vertrockneter Blumenstrauß, dessen grüne Satinbänder der berühmte Dalbono 131 aus Mailand bemalt hatte, knisterte und in Flammen aufging. Ein eigenartiges Lächeln umspielte ihre Lippen … Welche lang vergessene Erinnerung mochte dieser Strauß in ihr wecken? Vielleicht an jenen Tag, an dem der Herzog sie ebenfalls von Kleidungsstücken und Kränzen umgeben angetroffen hatte …? Doch da begegneten sich ihre Blicke, sie gewährte dem jungen Mann einen Kuss – und nun gab sich die Belcredi ihm hin.
Otto zitterten die Knie, als er die Treppe hinabstieg; er empfand die Leere des Ekels, eine schreckliche Entzauberung. – Ach! Das bedeutete also lieben; nichts weiter als mit den anderen Frauen auch! Wie ein Kind, das staunend verharrt, nachdem es von der verbotenen Frucht gegessen hat, zweifelte Otto, ob dieser Moment wirklich sei. Wie! Die entzückende Süße seiner endlosen Träumereien, diese Liebe, die drei Jahre lang an einem so unergründlichen und verborgenen Ort seines Wesens geruht hatte, dass er selbst nichts von ihr ahnte, die glühenden Briefe, die er in geheimster Abgeschiedenheit geschrieben hatte, seine Begierden, seine Begeisterung, seine Leidenschaft, seine Lippen, die ihrem Kuss entgegenbebten, all das schrumpfte nun auf diese traurige und kurze Ausschweifung zusammen, auf dieses fürchterliche Nichts, das er in sich fühlte!
«Und ich glaubte, sie zu lieben», dachte der junge Mann …
Es brach ihm das Herz entzwei; Otto weinte bitterlich und unter Schluchzen. Später vermochte er sich nicht mehr zu erinnern, weshalb er sich, nachdem er durch Theater und Cafés geirrt war, am Morgen bei einer stadtbekannten Kupplerin wiederfand, und auch nicht an die Kumpane, die ihn dorthin geführt hatten. Er verbrachte zwei ganze Tage dort, allen Ausbrüchen einer entsetzlichen und wahnwitzigen Gemütsverfassung grausam ausgeliefert: Bald gab er sich wüstesten Ausschweifungen hin, um sich an Giulia zu rächen und sein Bild von ihr zu entwürdigen, bald bestrafte
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