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Goetterdaemmerung - Roman

Goetterdaemmerung - Roman

Titel: Goetterdaemmerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: El mir Bourges
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verlassen schien ihm wie bitteres Gift. Sie war ihm köstlicher als sein Leben, notwendiger als seine rechte Hand. Erblickte er sie, auf das Holzgeländer gestützt, von unten, verließ ihn seine Seele in wahnsinniger, überschwänglicher Verzückung, um sich an die Geliebte zu heften; es bedurfte nur eines Raschelns ihrer Röcke, und alle Sinne Ottos erwachten, alle Kräfte seines Geistes und seines Körpers stürzten sich feurig auf sie. Innige Liebesglut ließ sein Herz schmelzen wie Wachs; er schwieg, versenkte sich und gab sich ganz der Anbetung hin: Seine Seele, gänzlich in Aufruhr und unbewegt zugleich, kannte bald nichts anderes mehr als ein stilles und unendliches Glück, in dem sich jede greifbare Freude verlor, so wie die blassen Sterne von der Sonne ausgelöscht werden. Sein Inneres war vollkommen ausgefüllt, es gab nichts Leeres mehr – bis zu jenem Augenblick, da diese aufgehäufte und überquellende Fülle schließlich zerbarst, mit Schluchzern, Tränen, Ermattung, am häufigsten aber mit wütendem Getöse oder überspannter Fröhlichkeit.
    Vor allem nach dem Essen, wenn er satt war von Fleisch und Wein und gierig in Früchte biss, deren Saft ihm über das Kinn lief, überstürzten sich animalische, wilde Gedanken in seinem Kopf. Er warf sich auf alle viere, wieherte, rollte sich auf den Betten hin und her, prügelte wie ein Wahnsinniger auf die Skelette des alten Spitzer ein, wuchtete riesige Möbelstücke in die Höhe, sodass Giulia befürchtete, er könnte sich das Kreuz brechen, er brüllte, wirbelte herum, führte sich auf wie ein Verrückter, ohne dass all dies ihn von dem hitzigen und beklemmenden Dämon befreien konnte, der ihn niederdrückte. Er ließ Bellua herbringen, die vor einigen Tagen unter der Obhut des Knechts Lajos angekommen und provisorisch im Reitstall Bernard-Pelletier untergebracht worden war, nur einen Flintenschuss entfernt vom Haus in der Rue du Puits-qui-parle; und nun begannen in dem kleinen Garten die kühnsten Verrücktheiten, zum Beispiel, dass er sich gestiefelt und gespornt aus dem Fenster auf den Rücken der Stute fallen ließ, und hundert andere, ähnliche Kunststücke. Musik, der er mit einer Art Verzückung lauschte, besänftigte sein Herz nicht im Mindesten, vielmehr erfüllte sie ihn mit einer solch überquellenden Fülle an Seufzern, Tränen, Empfindungen, dass es Otto buchstäblich den Atem verschlug: In diesem Zustand musste man ihm die Kleidung aufknöpfen und ihn aufs Bett legen; und die Gewitter, die zu Beginn jenes Oktobers täglich niedergingen, warfen ihn schließlich gänzlich aus der Bahn. Nichts vermochte seine Wut zu bändigen außer einem Gang in den Garten, wo er sich – unter seinem Laken nackt wie ein Leichnam – dem Regen aussetzte, der aus dem schwefelgelben, finsteren Himmel niederprasselte.
    Allmählich jedoch führten kleine Geldverlegenheiten dem jungen Mann eindringlich vor Augen, dass es Zeit war, ins Beaujon zu gehen, um seine Börse wieder zu füllen. Die paar Hundert Napoléons, die er von der in Wien so schnell verprassten Million noch übrig hatte, waren, er wusste nicht wie, dahingeschmolzen; unaufhörlich wurden die beiden Liebenden wegen geringfügiger Schulden belästigt. Und da es den Kelch ja nun doch früher oder später zu leeren galt, begaben sich Otto und Giulia eines Abends in einem Mietcoupé 133 zu Karl von Estes Palais. Die Fenster der Kutsche waren verhängt, das Innere war voller Blumensträuße, um der hässlichen, stinkenden Kiste den Anschein von Heiterkeit und Wohlgeruch zu verleihen; und die beiden, jeder reglos und tief in Gedanken versunken in die Ecke gedrückt, wechselten kaum ein paar Worte bis zur Place de l’Étoile, wo die Belcredi, hinter dunklen Scheiben gut versteckt, auf ihren Liebhaber warten sollte. Er kehrte fast unverzüglich zurück: Der Herzog weilte nicht in Paris, sondern im Schloss La Roche-Brûlée unweit von Fontainebleau, so hatte es jedenfalls der vortreffliche Herr d’Andonville verkündet, den er unten auf der Treppe getroffen hatte.
    «In La Roche-Brûlée?», wiederholte Giulia nachdenklich.
    «Ja», erwiderte Otto, «im Palais sind nur noch meine Schwester Christiane und Emilia, die Frau von Franz, denn ich habe soeben erfahren, dass mein Bruder sie geheiratet hat.»
    Was war nur in den Herzog gefahren, dass er, der sonst so prunkversessen war und geradezu süchtig nach Aufmerksamkeit, sich nun in dieser tiefsten Einsamkeit vergrub wie ein Hirte, der nur stummen Höhlen,

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