Goetterdaemmerung - Roman
Belcredi, «kommt zu Euch, ich flehe Euch an.»
«Sie beleidigt mich!», schrie der Herzog, dem die Raserei sogleich auf so fürchterliche Weise aus Augen und Mund entwich, dass sie nicht nur Giulia erzittern ließ, sondern auch Felix, Giovan, Lyonnette sowie die versammelten Domestiken bis hin zu den Lehrjungen in der Küche. Die gröbsten, verächtlichsten Titulierungen, Schmähungen und Beleidigungen prasselten auf die Belcredi ein, die weiß und unbeweglich wie eine Statue weder Zeit noch Möglichkeit erhielt, auch nur ein Wort zu sagen.
«Hinaus! Hinaus!», heulte der Wahnsinnige. «Und lassen Sie sich hier nie wieder blicken!»
Nun fand sich Giulia Belcredi plötzlich mit ihrem Schicksal ab, sie ging schweigend und mit einem Ausdruck hochmütiger Verachtung hinaus.
«Gute Reise!», trällerte Giovan vor sich hin, der hinter seinem Meister die Treppe hinaufhüpfte.
Es war recht spät am Abend, während seiner Nachttoilette, als Karl von Este den Brief seines Sohnes öffnete. Graf Franz verkündete zunächst, gewissermaßen als versüßenden Anfang, den vollen Erfolg seiner Gesandtschaft: Dann kam ein recht kurzer und ungeordneter Bericht, der beweisen sollte, dass Franz V. hinter Festnahme, Gefängnis und Heirat steckte und dem armen Grafen diese römische Speise aus Rache kredenzt habe; am Schluss folgten Beteuerungen, viel Demut und die Frage, ob er mit seiner Frau nach Paris zurückkehren könne.
«So ein Dummkopf», rief der Herzog achselzuckend aus und machte sich gar nicht die Mühe, dieses Wirrwarr zu verstehen.
Dann schlug die Stutzuhr, und Lyonnette sagte: «Kopf hoch, Monseigneur, geh schlafen.» Sie war im Nachthemd und lief mal hierhin, mal dorthin; schließlich deklamierte sie im Ton eines Kinderverses:
«Es ist Mitternacht.
Wer hat das gemacht?
Jesus Christus.
Wo ist er denn?
Er ist in seiner Kapelle.
Was tut er denn?
Er macht Dentelles 129
für die Damen in Paris.»
VIII
Man hätte meinen können, die Belcredi hätte nur an einer Kette ziehen müssen, deren Ende sie in der Hand hielt, um Otto nach Paris zurückzuholen. Achtundvierzig Stunden nach der seltsamen Szene im Beaujon an einem Samstagnachmittag Ende September wurde der junge Mann, der lediglich Zeit gehabt hatte, die von der langen Reise schmutzigen Kleider zu wechseln sowie Suppe und ein Ei hinunterzuschlingen, im «Grand Hôtel» vorstellig, wohin sich die Sängerin zurückgezogen hatte. Obwohl er Tag und Nacht, ohne anzuhalten, bis Paris gefahren war und unterwegs alle fünf Minuten seine Uhr herauszogen hatte, hätte Otto doch tief im Innern gewünscht, Giulia nicht zu begegnen.
Sie erhob sich und stieß einen Schrei aus … «Ah! Ihr seid das, Otto», stammelte sie.
Er verharrte schweigend, sprach sie nicht an, sondern betrachtete sie verzückt und wartete, dass sie etwas zu ihm sagte; sie trug ein weißes Kleid, überladen mit dicht gerüschten Spitzenfalbeln 130 und tausend Bändern, und die Sängerin hatte sich damit vergnügt, über dessen ganze Länge verteilt Sträußchen aus echten Rosen zu befestigen. Leidenschaftlich sah er auf diese Rosen, dieses schimmernde Kleid, Augen und Haar seiner Geliebten, bis ins Kleinste ihrer Züge; ihm schien, dass er Giulia noch jahrhundertelang lieben würde, und in köstliche Bilder versunken stand der junge Mann reglos da. Dieses Schweigen brachte ihn wieder zu sich: Rasch nahm er sich zusammen, und ohne zu überlegen, was er sagte, erwiderte er: «Ja! Ich bin sogleich abgereist, als ich Ihre Depesche erhielt. Ich wäre von noch weiter hergeeilt, nichts hielt mich dort unten.»
«Und die Schlosser?», bemerkte Giulia.
«Die Schlosser!», wiederholte Otto, der überaus rot wurde, dann plötzlich bleich, weiß wie der Marmor, auf den er sich stützte; und nach einem Augenblick lähmenden, alles offenbarenden Schweigens setzte er zu einem hastigen Versuch der Entschuldigung an. Liebte er denn etwa die Schlosser? Könnte er solch eine dumme Gans lieben, eine ewig weinerliche, hässliche, magere Frau mit spinnendürren Ärmchen und Beinchen? Und in seiner Verwirrung und seinem Ärger begleitete er diese in einer Art Fieberwahn gehaltene Rede mit ausholenden Gesten. In der Eisenbahn hatte er die bewegendsten und zärtlichsten Worte gefunden, doch seine Angst, Giulia nicht erweichen zu können, die Erregung, sie endlich wiederzusehen, und die drückende Luft, erfüllt vom Duft der Narzissen und Rosen, die in der ganzen Wohnung und sogar noch auf dem Tisch vor Otto standen,
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