Goetterdaemmerung - Roman
Erwachen drei Zeilen an Miss Sinclair, in denen er sie bat, sich davonzumachen – mit den nämlichen Worten –, und diese von einem Diener zu ihr befördern ließ, ohne ihr noch ein Wiedersehen zu gewähren; dann läutete er sogleich nach Arcangeli und erteilte dem Italiener den Befehl, Giulia wiederzufinden.
«Aber Monseigneur …», stammelte der arme Teufel, halb tot vor Angst angesichts des Unheils, das sich da über ihm zusammenbraute.
«Sei still, Schurke», fuhr Seine Hoheit fort. «Ich weiß sehr wohl, dass du sie nicht magst, aber hör gut zu und schreib es dir hinter die Ohren: Eben dich betraue ich mit der Aufgabe, mich mit ihr wieder zu versöhnen, und wenn du scheiterst, jage ich dich davon.»
Und er hätte seine Worte auch in die Tat umgesetzt, da ihm derlei Knalleffekte gefielen und er ebenso plötzlich in Leidenschaft für irgendwelche Leute entbrannte, wie er sie einige Tage zuvor noch verabscheut hatte. Auch darüber machte sich Giovan keine Illusionen, und so bitter diese Medizin für ihn auch war, so überlegte er doch sehr ernsthaft, wo sich die Sängerin aufhalten könnte; und um eine erste Verbindung aufzunehmen, ging er in der Hoffnung auf entsprechende Auskünfte ins «Grand Hôtel» – womit er auf Anhieb auf die richtige Fährte stieß, da Herr Generalagent Tripp höchstpersönlich das Häuschen in der Rue du Puits-qui-parle für Giulia angemietet hatte.
Das Haus war zu bedauern, früher hatte es so ruhig dagelegen unter seiner Efeudecke, im unbewegten Schatten der Kastanienbäume, und nun dröhnte es seit sechs Monaten von Geschrei und Geheul. «Oh, ich hasse sie!», sagte sich Otto immerzu. Doch zwischen seinen schlimmsten Wutanfällen kam er sich vor wie ein Schauspieler, der zwar auf der Bühne agiert, das Märchen aber selbst nicht glaubt, das er da vorträgt. Schwach und voller Hass auf seine Schwäche, gezähmt, aber im Herzen noch immer rebellisch, geriet er in einen Teufelskreis von Hass und Liebe, Liebe und Hass: Oft war er so wütend, dass er allem ein Ende machen, mit dem Messer sein gesundes Fleisch, gar den tiefsten Grund seiner Leidenschaft durchdringen wollte, und im nächsten Augenblick hoffte er auf weniger stürmische und heiterere Zeiten. So führte ihn dieses verbissene Warten von einem Tag zum andern und von einer Illusion zur nächsten, obschon der ungestüme Knabe sich dies nicht eingestehen wollte. «Letztlich ist sie ja doch bloß irgendeine Frau!», rief Otto aus, wobei er wütend seinen rothaarigen Kopf schüttelte; und um die Belcredi herabzusetzen, begann er insgeheim an all jene zu denken, die er besessen hatte. Doch obwohl er sie an den Fingern abzählte und bei jedem Namen innehielt, schienen sie ihm alle ferner als Schatten. Und jeder noch so kurze Blick auf Giulia sagte ihm, dass die Leiden, die er ihretwegen durchlitt, mehr wert seien als die freudigen Stunden, die er mit den anderen verbracht hatte.
Doch nun drohte dem jungen Mann eine Verschlechterung seiner Gesundheit, nachdem sie ihm so lange durch eine gleichsam täglich sich erneuernde Seelenstärke erhalten geblieben war. Otto litt unter Schwindelanfällen, Kopfschmerzen, beständigem Durchfall und wurde zusehends magerer. Dann setzte sich das Übel im Hals fest; mehrere Wochen lang war ungewiss, ob sich eine Operation vermeiden ließe. Ins Schlafzimmer verbannt, allein, wehleidig in der Ecke mit den glimmenden Holzscheiten sitzend, vor denen die Zitronenwässer und Heiltränke vor sich hin köchelten, die ihm die Ärzte im Übermaß verabreichten, verzehrte sich Otto vor Langeweile. Alles reizte und ärgerte ihn. Als die Belcredi einmal im kleinen Salon sang, fühlte sich der junge Mann, so süß und entzückend diese Musik auch war, durch den Lärm im Nachbarzimmer doch gestört. Er war jetzt eifersüchtig auf Laury, das Zimmermädchen, und fand, dass Giulia ihr gegenüber eine allzu zärtliche Vertraulichkeit an den Tag legte; gleichzeitig träumte er indes davon, in einer warmen Nacht einmal in die Mansarde der Dienerin hinaufzusteigen. Laurys biegsame Taille, ihre stumpfe Nase und ihre gelben Augen, die ihm frech wie zwei Wespen folgten, weckten bei jeder zufälligen Begegnung ein animalisches wollüstiges Verlangen in Otto. Und damit, so schien ihm, rächte er sich an der stets so herablassenden und kühlen Giulia.
Doch machte sich in den Seelen der Liebenden, da sie nun einmal gezwungen waren, in beständiger Abgeschiedenheit zu leben, nach und nach eine eigenartige Stille breit.
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